Mondherz
zurück.
Er lachte leise. »Ihr wollt die Prophezeiung also nicht erfüllen?«, fragte er.
»Niemals.«
Er nickte. »Ihr habt tatsächlich gelernt, einen eigenen Willen zu haben.« Er lachte auf. »Das wird Gábor gar nicht gefallen.« Ehe sie etwas erwidern konnte, wurde er wieder ernst. »Ich werde Euch jedenfalls nicht zu irgendetwas zwingen«, sagte er. »Meinetwegen könnt Ihr hierbleiben, so lange Ihr wollt, und Ihr werdet mich nie wieder von der heiligen Agnes reden hören.«
»Danke.« Veronika konnte die Überraschung nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen.
»Gern geschehen.« Er strich sich über sein Wams, dann sah er zur Tür.
Sie begriff. Heute war einer der wichtigsten Tage in seiner Amtszeit als Regent, und er hatte sich bereits mehr Zeit für sie genommen, als er erübrigen konnte. »Ihr seid zu freundlich«, sagte sie, und sie versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Jetzt solltet Ihr Euch Euren neuen Aufgaben widmen. Ich komme allein zurecht.«
Er grinste abwesend, und sie erkannte, dass er in Gedanken bereits zur Tür hinaus war. »Ihr könnt Euch ein Zimmer aussuchen«, sagte er. »Die meisten Räume der Familie stehen leer. Und morgen werdet Ihr zum Schneider gehen und Euch neu einkleiden lassen. Außerdem braucht Ihr wieder eine eigene Edelmagd. So kann ich Euch doch nicht herumlaufen lassen.« Er zwinkerte ihr zu, dann eilte er hinaus.
Veronika strich sich über ihr blaues Leinengewand. Es war recht neu, doch seine Worte hatten es geschafft, dass sie sich für einen Moment wie in Lumpen gehüllt fühlte. Eine eigene Magd, neue Gewänder, ein wöchentliches Bad. Früher war ihr das so wichtig gewesen wie die täglichen Mahlzeiten, doch jetzt verursachten Michaels Worte nur ein hohles Gefühl in ihrer Brust. Fast wäre sie hinausgeeilt, zurück in den Wald und ins Romalager, wo es nach Pferden und Feuer roch. Doch sie hatte sich entschieden. Sie hob den Kopf. Sie würde nicht gehen, ehe der König etwas gegen Drăculea unternommen hatte.
Es war mitten in der Nacht, als der König Gábor zu sich rufen ließ. Gábor unterbrach sein Gespräch mit Miklos. Seine Gedanken waren noch bei den Ereignissen, von denen ihm sein Schüler atemlos berichtet hatte.
Veronika!
Sie war in der Stadt. Das brachte sein Herz so zum Schwingen, dass ihm war, als müsse er es festhalten, damit es nicht davonsprang. Sie war so nah. Doch wie konnte sie zu Michael gehen, ausgerechnet zu ihm! Er sah sein triumphierendes Grinsen vor sich. Michael würde ihr das Blaue vom Himmel versprechen, damit sie bei ihm blieb. Gábor musste mit ihr reden und sie davon überzeugen, dass sie bei ihm besser aufgehoben war. Am liebsten wäre er aufgesprungen und sofort zu ihr geeilt. Er wollte sie sehen, wollte sie riechen, in ihrer Nähe sein. So viel hatte sie durchgemacht, ohne dass er sie hatte beschützen können.
Doch die Informationen, die er erhalten hatte, waren erst einmal wichtiger. Er hatte schon vermutet, dass Drăculea Viktor hatte ermorden lassen. Was ihm besondere Sorge bereitete, war der zweite Teil von Veronikas Geschichte. Drăculea war mit den Türken verbündet. Wenn Janitscharen auf sein Geheiß Viktor überfallen hatten, hieß das, dass er ihnen von den Werwölfen erzählt hatte. Ob sie ihm geglaubt hatten oder nicht, war nebensächlich. Gábor beschloss, den König so rasch wie möglich in Kenntnis zu setzen. Er musste ihn davon überzeugen, Drăculea sofort alle Macht zu entziehen.
Also erhob er sich, nickte Miklos zu und folgte eilig dem Bediensteten, der gekommen war, um ihn zu holen, durch die Gänge der Königsburg.
Er fand den König außer sich vor Wut.
»Ich kann nicht schlafen, weil ich ständig das Grinsen meines Onkels vor mir sehe!« Die Augen des Jungen funkelten im Licht der zahlreichen Kerzen, die die Dienerschaft in dem Salon aufgestellt hatte. Er trug einen einfachen braunen Wollmantel über seinem Schlafgewand. Ihm fehlte noch die Garderobe, die seine neuen Würden mit sich brachten. Gábor wusste, dass Mathias solche Äußerlichkeiten bisher kaum etwas bedeuteten. Doch in dem prunkvollen Gemach wirkte er eher wie ein Bediensteter als wie der Herr über die Burg und ganz Ungarn, vor allem da der Raum noch aus jeder Ecke die Puppenhaftigkeit von König Ladislaus atmete. Blumige Tapisserien bedeckten die Wände, golddurchwirkte Vorhänge verwandelten Teile des Gemachs in private Nischen, und auf den Polsterstühlen türmten sich Kissen. In der Mitte des Raums
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