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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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»Wo ist sie?«
    Mit großen Schritten stürmte er in den Saal. Sein blondes Haar war verstrubbelt und länger, als sie es in Erinnerung hatte. Überrascht bemerkte sie, wie groß er war, viel größer als in ihrer Erinnerung. Seine mächtige Statur wirkte selbst in dem großen leeren Raum riesig.
    »Veronika!« Sein Grinsen war jedoch genauso wie immer. »Wie lange haben wir uns nicht gesehen!« Ohne Miklos oder Solana zu beachten, kam er zu ihr und umfasste ihre Arme. »Ihr seid kräftiger geworden«, stellte er fest. »Eure Schultern, Eure Hände. Habt Ihr etwa auf dem Feld gearbeitet?«
    Sie wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch er lachte nur. »Es gefällt mir«, sagte er. »Und ich freue mich, dass Ihr zu mir gekommen seid.« Jetzt warf er doch einen kurzen Blick zu Miklos hinüber. »Ihr müsst mir alles erzählen, was Ihr erlebt habt.«
    Miklos stand so rasch auf, dass die Bank unter ihm wackelte. Seine Abneigung war ihm deutlich anzusehen, auch wenn er versuchte, sie im Zaum zu halten. »Ich muss los«, stieß er hervor und sah Veronika an. »Aber so bald wie möglich besuche ich dich.«
    Michael zog die Augenbrauen hoch, sagte jedoch nichts. Veronika spürte es auch so. Miklos war hier nicht willkommen. Was war zwischen Gábor und Michael nur vorgefallen?
    Solanas Stimme riss sie aus diesen Gedanken. »Ich gehe auch«, sagte sie leise. »Senando wartet sicher schon am Hafen auf mich. Du weißt, wir lassen uns kein Fest entgehen.« Sie lächelte, doch Veronika sah die Sorgen in ihren Augen und wusste, was wirklich hinter diesen Worten steckte. Bis auch die letzten verstreuten Familienmitglieder in Pest angekommen waren, um einen Nachfolger für Ilai zu wählen, würden die Roma hierbleiben, und deshalb hatten sie es bitter nötig, ein paar Gulden zu verdienen. Heute feierten die Ungarn und waren freigiebig. Die Roma würden bis tief in die Nacht auf Budas Plätzen und Straßen musizieren und Geschichten erzählen, um in den nächsten Tagen genug zu essen zu haben.
    Veronika löste sich von Michael und schloss Solana in die Arme. »Du weißt, wo du uns findest«, flüsterte ihre Freundin. »Du kannst jederzeit zu uns kommen.«
    Ja, das wusste Veronika. Sie war nicht allein. Trotzdem war es, als ging ein Teil von ihr mit ihren beiden Freunden hinaus.
    »Mir scheint, Ihr habt neue Verbündete gefunden«, stellte Michael fest. Abgelenkt schaute er Solana hinterher. »Ist die schwangere Schönheit eine Zigeunerin?«
    Sie ignorierte seine Frage und wartete, bis er sie wieder ansah. »Ich habe Euch viel zu erzählen.«
    »Gut.« Er nickte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, als wäre er nicht ganz bei der Sache. Er hatte sie bisher nicht einmal nach Viktor gefragt. Sie holte tief Luft, dann begann sie zu berichten. Unruhig schritt er währenddessen durch den Raum.
    »Drăculea ist mit den Türken im Bunde?«, unterbrach er sie plötzlich. Er blieb stehen. »So dumm kann er nicht sein!«
    »Anscheinend doch.« Sie runzelte die Stirn. »Er muss sie instruiert haben, sonst wären sie nicht zum richtigen Zeitpunkt vor Ort gewesen. Sie wussten von unseren wölfischen Sinnen, deshalb konnten sie uns überraschen.« Sie beobachtete, wie Michael seinen unruhigen Gang fortsetzte. »Drăculea hat die Christen verraten«, betonte sie. »Und er quält und tötet Roma, wo er sie findet. Sie haben ihm Rache geschworen, aber allein haben sie keine Aussicht auf Erfolg. Ihr müsst zum König gehen, Michael. Er muss ein Heer zusammenstellen.«
    »Der König.« Michael blieb erneut stehen, und jetzt musterte er Veronika mit neuer Aufmerksamkeit. »Seid Ihr wegen ihm gekommen? Wegen der Prophezeiung?« Er begann zu grinsen.
    »Nein!«, rief Veronika erbost. Hatte Michael nicht verstanden, um welch wichtige Dinge es hier ging? »Ich bin hier, weil Viktor tot ist. Die Prophezeiung ist mir völlig egal.«
    Er hielt inne, schien den Gedanken abzuwägen. Für einen Moment war es still. Veronika krampfte die Hände so fest zusammen, dass ihre Knöchel weiß wurden.
    »Geht Ihr zum König?«, fragte sie schließlich. »Werdet Ihr ihn davon überzeugen, gegen Drăculea vorzugehen?«
    »Natürlich werde ich das«, erwiderte er, doch er sprach zu schnell, als wäre es ihm nicht allzu wichtig. Er ging zu ihr herüber und blieb so dicht vor ihr stehen, dass sie sein Herz schlagen hören konnte. Dunkel pochte es, und kraftvoll.
Vertrau mir,
schien es zu sagen. Sie zögerte. Als er die Hand hob, um ihr übers Haar zu streichen, wich sie

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