Mondherz
den Kerzenhalter und ging durch den geräumigen, doch kargen Raum zu der Tür, hinter der sich seine Schlafkammer verbarg.
Auf dem Tisch neben seinem Bettlager standen eine Waschschüssel und eine Karaffe Wein, die beide allabendlich frisch gefüllt wurden. Gábor schenkte sich einen Zinnbecher Wein ein und setzte sich auf einen Schemel neben das Fenster.
Durch die offenen Läden drang die milde Nachtluft zu ihm herein. Er sah den Mond, der als halbe Scheibe am Himmel hing. Sein Ruf zog sanft an seiner Seele, lockte seinen Wolf hervor, der sich mit einem müden Grollen räkelte. Bald war es wieder Zeit, ihn herauszulassen. Der Wolf mochte die dicken Mauern um ihn herum nicht, er sehnte sich nach frischem Gras, nach Bäumen und den leisen Geräuschen von kleinen Tieren im Gestrüpp. Es war der Bund und der Dienst an den Menschen, der die Werwölfe in Städte und Festungen zwang, doch das Leben dort entsprach nicht wirklich ihrer Natur. Gedankenverloren hob Gábor den Zinnbecher und nippte an dem Wein. Er schmeckte seltsam süßlich.
Sein wölfischer Instinkt schlug so heftig zu, dass er den Becher fallen ließ. Scheppernd landete er auf dem Boden. Eine rote Lache schwappte wie Blut über den Stein.
Er leckte sich über die Unterlippe. Die Haut dort prickelte, doch als er darüberstrich, fühlte sie sich taub an. Ungläubig runzelte er die Stirn. Er bückte sich nach dem Becher, führte ihn an die Nase. Außer der fruchtigen Säure des Weins roch er erst nichts. Erneut schnupperte er, und dann fand er ihn, einen würzigen und zugleich schalen Geruch, wie schimmliges Wintermoos. Sein Wolf knurrte voller Ekel. Fast hätte er den Becher gegen die Wand geschleudert.
Es war nur ein Schluck gewesen, doch jetzt spürte er, wie auch seine Zunge taub wurde. Der süße Geschmack wich einer kratzenden Schärfe.
Blauer Eisenhut.
Sein Magen verkrampfte sich. Die Türken hatten ihn einst die Gifte der Pflanzen gelehrt. Schon ein kleines Stück der Knolle des teuflischen Eisenhuts reichte, um einen Menschen zu töten.
Die Angst umfing ihn wie eine eiskalte Faust, presste ihm alle Luft aus den Lungen. Es war der Wolf, der am schnellsten reagierte. Mit einem Satz war er am Tisch und packte die Waschschüssel. Die Hälfte verschüttete er, als er sich das Wasser in den Mund goss und sofort wieder ausspuckte. Dann trank er wie ein Verdurstender, schluckte so rasch, das ihm das Wasser bis in die Augen stieg. Er würgte, hustete, sank auf die Knie und übergab sich auf den Boden. Rasselnd holte er Atem, als er den letzten Rest seines Mageninhalts ausgespuckt hatte. Jetzt konnte er nur hoffen, dass seine Wolfsnatur stärker war als das Gift, das sich noch in ihm befand.
Er setzte sich zurück, lehnte den Kopf an die Wand und schloss die Augen. Ihm war kalt. Sein Herz tobte und bockte wie ein wild gewordenes Pferd. Er schloss die Augen.
Gott steh mir bei.
Die Todesangst riss all seine Gedanken mit sich fort. Jetzt musste der Wolf seinen Geist übernehmen, denn er war die widerständigere seiner beiden Naturen. Seine Finger formten sich zu Krallen. Sein Körper war zu sehr mit dem Kampf gegen das Gift beschäftigt, um sich vollständig zu verwandeln, doch er spürte, wie sich seine Muskeln unter der Haut zusammenzogen, wie die Gelenke knackten.
Eine Ewigkeit verging. Als er die Augen wieder öffnete, waren die Kerzen fast heruntergebrannt. Er fühlte sich schwach, seine Hände zitterten. Aber der Wolf hatte sich zurückgezogen. Die Stärke seines zweigestaltigen Bluts hatte das Gift unschädlich gemacht.
Mühsam stand Gábor auf, befreite sich aus den schweißgetränkten Kleidern und legte sich nackt auf sein Bettlager. Immer noch raste sein Herz, doch sein Atem hatte sich beruhigt. Sein Körper sehnte sich nach der Erholung des Schlafs. Es war knapp gewesen, viel zu knapp. Doch mit einem Anschlag auf sein Leben hatte er wahrlich nicht gerechnet, zumindest nicht in dieser Form.
Wer wollte ihn tot sehen? Michael kam ihm in den Sinn, doch er verwarf den Gedanken. Der Regent konnte nicht so dumm sein, gegen Pavels Anordnung zu verstoßen. Außerdem war Gift nicht seine Methode. Doch wer war es dann? Am Königshof gab es natürlich Konkurrenz und Feindschaften. Doch keinem der Intriganten, die ihm einfielen, traute er einen Mordanschlag zu. Er schloss die Augen. Er würde es herausfinden. Morgen.
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30 . Kapitel
Buda, Juni 1458
E s waren nur wenige Tage vergangen, als Veronika erneut Besuch von Milutin bekam, dem jungen
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