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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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Paulo sogleich erkannte. Ich schicke ihn dir als Boten dieses Briefs. Sein Bruder Marko wird mich weiter nach Isaccea begleiten.
    Zwei Hauptmänner waren bei dem Janitscharentrupp, und Pavel ließ sie als Einzige am Leben, um ihnen in Isaccea unter der Folter Informationen über die türkischen Stellungen zu entreißen. Einer der beiden Männer hat rotes Haar. Die Roma, die einzig zu mir Vertrauen fassten, berichteten mir, dass seine Untergebenen ihn Arpad nannten. Je mehr sie mir erzählten, desto weniger glaube ich an einen Zufall, dass ausgerechnet er uns in die Hände geriet. Er weiß von den Werwölfen, Gábor! Er befehligte die Türken, die Viktor töteten. Die beiden Roma nahm er bei Michaels Feldzug gefangen, weil er hoffte, von ihnen mehr über das Wolfsvolk zu erfahren. Pavel weiß bisher nichts davon und ich hoffe, dass dieser rasch geschriebene Brief ihm nicht in die Hände fällt. Bisher hat auch Arpad geschwiegen, denn er kennt mich nicht. Die Romabrüder haben mir Stillschweigen gelobt. Ich bitte dich inständig, du musst nach Isaccea kommen! Doch vorher lass dir von Paulo ausführlich berichten.
    Gábor fixierte den Roma mit nachdenklichen Augen. Paulo aß wie ein Verhungernder, doch er schien Gábors Blick zu spüren. Er senkte das Brot, das er sich zum Mund führen wollte, und sah auf.
    »Erzähle mir alles.« Gábor mühte sich um einen ruhigen Tonfall, konnte seine Anspannung aber kaum verbergen. »Von Anfang an.«
     
    Zwei Wochen gingen ins Land, und es vergingen kaum zwei Tage hintereinander, ohne dass Milutin Veronika besuchte. Als es frühmorgens an der Tür klopfte, erwartete sie schon fast, den Grafen dort zu sehen, doch es war ein junger Roma. Solana hatte einen Sohn geboren, teilte er Veronika freudestrahlend mit. Sie wollte ihn Ilai nennen, nach ihrem verstorbenen Vater. Und außerdem sei Paulo wieder unter den Lebenden aufgetaucht!
    Veronika ignorierte die kritischen Blicke von Michaels Wachmann und fiel dem Romajungen glücklich um den Hals. Gleich danach eilte sie in ihre Kammer und packte einen Beutel mit ihren wichtigsten Besitztümern, obwohl sie noch zwei Tage Zeit hatte. Denn dann würden sie aufbrechen, hatte ihr der Junge ausgerichtet, und dann konnte sie sich auch mit eigenen Augen vom Wohlergehen der erschöpften Mutter, des Kindes und des lang Vermissten überzeugen.
    Als sie ihren Beutel zugeschnürt hatte, setzte sie sich auf ihr Bettlager und atmete tief durch. Sollte sie Michael und Gábor von ihrem Aufbruch unterrichten? Sie würden sie aufhalten wollen, dessen war sie sich sicher. Michael mit Schmeicheleien, Gábor mit Bitten und Befehlen. Gábor würde wütend sein, wenn sie einfach so verschwand. Aber würde er sie auch vermissen? Sie ballte eine Hand zur Faust und schlug auf ihr Kissen ein, bis ihr Herz sich beruhigte. Er hatte es verdient, sie niemals wieder zu sehen.
    Aber da war auch noch der liebenswerte Milutin. Seine unverhoffte Gesellschaft war in den letzten Wochen ein Lichtblick gewesen. Gestern hatte er ihr einen Brief geschrieben. Er hatte sie eingeladen, sich heute Abend mit ihm in den Burggärten zu treffen.
Euer Liebden, ich habe eine Überraschung für Euch,
hatte er mit seiner geschwungenen Schrift geschrieben, deren zittrige Kurven seine Aufregung verraten hatten. Der Arme, er wusste ja nicht, dass sie abreisen wollte. Sie hätte blind sein müssen, um nicht zu erkennen, dass er um sie warb. Und sie musste zugeben, dass sie seine Aufmerksamkeit genoss. Sie würde ihn vermissen. Doch nicht genug, um hierzubleiben. Wenigstens von ihm würde sie sich heute Abend verabschieden.
     
    Sanft war der Abend und mild, als sie durch die Burggärten schlenderte. Die Sonne war bereits untergegangen, und Schatten rankten sich wie schwarzer Efeu an Bäumen und Mäuerchen empor. Zu ihrer Linken konnte sie den Abendstern am Himmel sehen, die leuchtende Venus. Die Worte Pater Antons aus ihrer Kindheit kamen ihr in den Sinn.
Der Abendstern erinnert uns an die Wiederkunft des Herrn. Hell erleuchtet er die Nacht der Welt. Doch gebt acht, denn er ist der Bruder des Morgensterns, und der gehört Luzifer, dem gefallenen Engel.
    Sie atmete tief ein. War sie gerade in Gefahr, dem falschen Stern zu folgen? Nein, sie hatte ihren Entschluss gefasst. Sie würde Solana und ihre Familie begleiten. Doch hier in den Burggärten schien ihr Aufbruch in weite Ferne gerückt zu sein. Süß lockte die warme Sommernacht. Der Duft des blühenden Flieders erfüllte die Luft. Das Zirpen der

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