Mondherz
Gábor war immer für sie eingetreten und würde auch immer für sie eintreten. Doch die Prophezeiung stand für ihn an oberster Stelle. Und damit der König, der ihr Vertrauen so schändlich verraten hatte.
Sie senkte den Blick auf die Kerzen, die vor ihr auf dem Tisch standen. Die Flammen zuckten, als kämpften auch sie gegen einen Gefühlssturm an.
Sie hatten den König in die sicheren Mauern der Burg gebracht, und Gábor hatte einen Trupp Soldaten in die Gärten geschickt, um sich um die Leichen zu kümmern. Dann hatte er sie in das Stadthaus der Hunyadis begleitet. Michael war noch nicht zu Hause, und nur widerstrebend hatte der wachhabende Werwolf Gábor ins Haus gelassen. Sicherlich war Michael inzwischen verständigt, und ebenso sicher würde er bald hier sein, um den Grund für den ungebetenen Besuch zu erfahren.
Sie spürte, dass Gábor sie anblickte und hob den Kopf. Er sah sie schweigend an, bis sie es nicht mehr aushielt und die Stille brach. »Woher wussten die Attentäter, dass wir in dem Garten waren? Milu…« Sie brach ab und räusperte sich. »Der König hat niemandem davon erzählt.«
Er nickte, als hätte er sich darüber auch schon Gedanken gemacht. »Sie könnten einen seiner Diener bestochen haben. Oder sie sind ihm gefolgt.«
Veronika dachte nach. »Oder sie sind
dir
zu uns gefolgt«, gab sie zu bedenken.
Er blickte auf seine Hände hinab. Ein Schatten glitt über sein Gesicht. Plötzlich schien er in Gedanken weit weg zu sein. Wusste er etwa mehr als sie? Sie setzte zu einer Frage an, als er abrupt den Kopf hob und sie wieder anschaute. Seine Augen spiegelten das Licht der Kerzen wider. »Ich habe mich noch nicht bei dir bedankt«, sagte er. »Für deine Unterstützung im Kampf.«
Sie holte tief Luft. Was sollte sie darauf antworten? Sie hatte ihm geholfen, sie war bei ihm geblieben, weil sie nie auch nur an Flucht gedacht hatte, als wäre es ein uralter Instinkt gewesen, der sie trieb.
Bevor ihr eine Antwort einfiel, vernahmen sie beide das Poltern an der Haustür und Michaels dröhnenden Bass. Gábor sprang auf und trat an ihre Seite. Sein Gesicht war angespannt.
Laute Schritte erklangen auf der Treppe. Ohne anzuklopfen, trat Michael ein. Seine blonden Haare waren zerzaust, und seine blauen Augen funkelten. »Was willst du hier?«, fuhr er Gábor an.
Gábor verschränkte die Arme. Sofort vibrierte die Luft vor Spannung zwischen den beiden Männern. Doch Veronika war nicht gewillt, außen vor zu bleiben.
»Ihr habt mich belogen, Michael!«, rief sie, und ihre Stimme bebte vor Zorn. »Ihr habt mir den König unter falschem Namen vorgestellt, dabei hattet Ihr mir versichert, dass Euch die Prophezeiung nicht interessiert.«
Michael seufzte. »Es sollte doch nur ein Scherz sein, Veronika. Mein Neffe hat mich darum gebeten.«
»Schon wieder lügt Ihr!«, rief sie. »Der König hat gesagt, Ihr wäret mit dem Vorschlag zu ihm gekommen.«
»Ist doch egal, wie es war.« Er zuckte mit den Schultern, von ihrer Wut anscheinend unbeeindruckt. »Habt Ihr deshalb Gábor in mein Haus gebracht?«
»Ich bin auf eigenen Wunsch gekommen.« Gábors Stimme war dunkel und verräterisch ruhig. »Veronika ist mein Mündel. Ich lasse nicht zu, dass du sie belügst und benutzt.«
»Ich?« Michael grinste humorlos. »Du bist es doch, der sie mit meinem Neffen ins Bett bringen soll. Ich habe dir nur einen Gefallen getan, wie Pavel es verlangt hat.«
Veronika zuckte zusammen. Sie sah zu Gábor.
Er war bleich geworden. »Du tust niemandem einen Gefallen«, zischte er. »Du wolltest dich nur bei Mathias beliebt machen. Stattdessen hast du ihn tiefer verletzt als jemals zuvor.«
»Nur weil du dich eingemischt hast«, schnaubte Michael. »Du hast kein anderes Ziel, als mich zu sabotieren. Doch damit ist es jetzt endgültig vorbei.« Er senkte den Kopf wie ein Bulle. Aus seinen Augen glühte der Wolf. Das Knurren, das aus seiner Kehle drang, kam als dunkles Echo von Gábor zurück. Beide rissen einen Dolch aus ihrem Gürtel.
»Halt!« Veronika stellte sich zwischen sie. Mit aller Gewalt drängte sie den Fluchtinstinkt ihrer Wölfin zurück. »Wollt ihr euch gegenseitig umbringen, ihr dummen Kerle?« Ihr Herz zitterte vor Furcht, doch sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. »Michael, Ihr verlasst meine Kammer auf der Stelle. Und du, Gábor, wirst mich gleich zu den Roma bringen. Danach braucht euch der König.
Beide.
«
Sie holte Atem, maß ihren Blick mit Michael, dann mit Gábor. Beide Wölfe
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