Mondherz
glitt Gábor an ihr vorbei, und er war so nah, dass sie den Wolf in seinen Augen glitzern sah. Ihre Wölfin nickte ihm, dem Gefährten, zu.
Bring sie zur Strecke.
Er war durch das Tor. Ein ersticktes Keuchen ertönte, der dumpfe Fall eines Körpers, der Geruch von Blut. Dann schrie jemand. »Er ist hier!«
Rasche Schritte, und dann war Gábor plötzlich wieder neben ihr. »Noch drei«, rief er ihr zu, als hinter ihm ein Mann durch das Tor kam. Veronikas Stock sauste auf ihn nieder, und er ging in die Knie. Sie sah seinen schwarzen Umhang, ein stumpfes Kettenhemd darunter. Die Kapuze, die ihn vor Blicken schützen sollte, fiel zurück. Er war ein Fremder. Sie schlug erneut zu, und endlich kippte er um. Zwei andere kamen hinter ihm, ebenfalls mit Kettenhemden gerüstet. Sie drangen mit ihren Schwertern sofort auf Gábor ein. Mit seinem Dolch war er ihnen trotz seiner Körperkraft unterlegen.
»Nein«, schrie sie, doch die Fremden beachteten sie nicht. Stattdessen warf ihr Gábor einen raschen Blick zu, dann schaute er auf den Mann zu ihren Füßen. Sie begriff. Sie riss dem Bewusstlosen das Schwert aus der Scheide und eilte auf die Kämpfenden zu. Gábor wagte einen Ausfall zur Seite, auf sie zu, und eine der Schwertschneiden streifte seinen Arm. Sie roch das Blut und keuchte auf, doch im nächsten Moment hatte er ihr die Waffe entrissen. Trotz der Wunde drang er mit neuer Kraft auf die Attentäter ein.
»Halt«, schrie da plötzlich jemand. »Im Namen Ungarns, haltet ein!« Es war Mathias. Er trat neben sie.
Dieser königliche Dummkopf! Sie packte ihn am Arm und riss ihn mit aller Kraft zurück. Er war es doch, den sie wollten. »Lauft«, schrie sie Mathias an. »Rettet Euer Leben.« Sie umgriff ihren Stock fester.
Doch er blieb stehen. Wundersamerweise kümmerte sich keiner der Männer um ihn. Stattdessen kämpften sie mit erstickten Schreien gegen Gábor. Jetzt, da er ein Schwert hatte, waren sie seiner Kraft jedoch nicht mehr gewachsen. Seine Waffe wirbelte durch die Luft und traf den einen am Hals, trennte beinahe seinen Kopf ab. Im selben Moment hob der andere sein Schwert. Die Schneide glänzte im Mondlicht. Gábor wirbelte herum. Mit einem schrecklichen Krachen prallten die Waffen aufeinander. Von Gábors Schwert spritzte das Blut des ersten Gegners, stumpfe, nachtschwarze Tropfen.
Er hob die Waffe erneut, stach damit nach vorne. Wieder wehrte sein Gegner ab, doch er taumelte. Gábor warf sich auf ihn, prallte mit der Schulter gegen seine Brust. Mit einer raschen Handbewegung schlug er dem Fremden seine Waffe aus der Hand. Der Mann griff an seinen Gürtel. Veronika schrie auf. In seiner Hand blinkte scharf und spitz ein Messer. Gábor stieß mit seinem Schwert zu. Die Spitze durchbohrte den Hals des Fremden, trat feucht und dunkel im Nacken wieder hervor. Der Mann gurgelte tonlos, dann brach er zusammen.
Gábor atmete tief durch, die beiden blutigen Leichen vor ihm am Boden. Als er Veronika ansah, erschauerte sie. Sie spürte seinen Wolf, die Wellen der Blutgier, die durch seinen Körper tosten. Und doch hätte sie sich ihm nicht näher fühlen können.
Als er zurückkam, streckte der König eine zitternde Hand aus. »Ihr habt mein Leben gerettet«, stieß er hervor.
Gábor beachtete ihn nicht. Er kniete sich neben den Mann, den Veronikas Stock gefällt hatte.
»Wer hat diese Attentäter geschickt?«, rief Veronika. »Wir müssen ihn befragen, sobald er wieder aufwacht!«
»Den befragt keiner mehr«, sagte Gábor und blickte sie an. In seinen Augen lagen weder Groll noch Triumph. »Schon dein erster Hieb war tödlich.«
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31 . Kapitel
Buda, Juni 1458
V eronika konnte nicht anders, sie musste Gábor aus den Augenwinkeln beobachten. Er saß auf der Fensterbank in ihrem Gemach und blickte hinaus, aufrecht und still, als hätte ihn ein Künstler dorthin gemalt. Der warme Nachtwind wehte durch das offene Fenster herein und fächelte ihr die vielfältigen Gerüche der schlafenden Stadt zu. Doch der einzige Duft, der sie interessierte, war Gábors dunkle Note. Obwohl sie nur flach atmete, schien er sie gänzlich zu durchdringen.
Er war heute auf ihrer Seite gewesen und hatte ihre Hand gehalten, als wäre sie eine vertraute Freundin. Und sie hatte seine Nähe sofort akzeptiert, als hätte es niemals einen Bruch zwischen ihnen gegeben. Wie konnte es sein, dass ihre Wut, an der sie sich so lange festgehalten hatte, fast erloschen war? Doch eigentlich wusste sie, dass sich nichts geändert hatte.
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