Mondherz
Jäh erfasste sie Misstrauen. Spielte er irgendein Spiel mit ihr? Sie wurde aller Vorsicht überdrüssig und fragte: »Warum erzählt Ihr mir das alles?«
Einzig am Zucken seiner Augenlider sah sie, dass er auf so eine direkte Frage nicht gefasst gewesen war. Doch gleich hatte er sich wieder im Griff.
»Weil er es Euch nie erzählen würde«, antwortete er bedächtig.
Sie sann über seine Worte nach und musste ihm recht geben. Gábor hatte sie bisher so distanziert wie eine Fremde behandelt, und die würde sie auch immer für ihn bleiben. Schließlich war er nie hier. Und er hatte ihr bisher auch nicht mitgeteilt, welche Rolle sie als sein Mündel für seine zukünftigen Pläne spielte. Frustriert fuhr sie sich über die Stirn.
»Nehmt es nicht so schwer, Euer Liebden«, sagte Michael. Verständnis lag in seinem Blick, und eine Wärme, die sie anrührte. »Wenn Ihr Sorgen habt, kommt jederzeit zu mir. Ihr könnt mir vertrauen.«
»Danke«, antwortete sie leise. Doch sein letzter Satz hatte etwas in ihr angestoßen, das ohne Nachdenken den Weg zu ihren Lippen fand. »Ihr traut Gábor nicht, oder?«
Er runzelte die Stirn. »Natürlich traue ich ihm.« Doch etwas in seinem Blick sagte ihr, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Mit einer Handbewegung, als wollte er eine lästige Fliege vertreiben, wischte er ihre Worte beiseite.
»Lasst uns nicht mehr über Euren Vormund sprechen. Bald wird er eintreffen, und ihr könnt Ihn selbst fragen, was Ihr noch wissen wollt.« Er stützte sich auf die Tischplatte und sah sich um. »Wo ist dieser Faulpelz von einem Baumeister schon wieder hin? Seine Pläne sind so löchrig wie der bayrische Klosterkäse, den er immer frisst. Laszlo, schau, ob du ihn finden kannst.«
Rasch erhob sich der junge Hunyadi und verabschiedete sich mit einer knappen Verbeugung von Veronika, ehe er in Richtung Baustelle eilte. Sie deutete die Zeichen richtig und leerte ihren Weinbecher, dann erhob sie sich ebenfalls.
»Ich werde Euch nicht länger stören, Hauptmann Szilagyi. Auf der Burg wartet sicher schon der Schneider auf mich, um die Wintergarderobe durchzusprechen.«
Galant verbeugte sich Michael vor ihr. »Habt Dank für Euer Kommen, Veronika«, sagte er. »Das Essen in weiblicher Gesellschaft schmeckt doch besser.« Er lächelte. »Ich freue mich auf das gemeinsame Mahl heute Abend … und auf den Ausflug danach.« Er zwinkerte ihr zu.
Veronika, die sich von ihm auf das Pferd helfen ließ, war sich nicht sicher, ob sie sich ebenfalls auf den Abend freuen sollte. Auf dem Ritt zur Burg bekam sie kaum etwas von ihrer Umgebung mit, so sehr war sie in Gedanken versunken.
Als die Abenddämmerung über Belgrad hereinbrach, kam Veronika von ihrem Gespräch mit dem Schneider zurück in die Kemenate. Zwei Mägde bereiteten ihr ein Bad und halfen ihr beim Entkleiden. Langsam ließ sie sich in das heiße Wasser sinken. Es war ein unüblicher Luxus, doch heute Abend benötigte sie ihn. Die Wärme tat ihr wohl und ließ nicht nur ihren Körper, sondern vor allem ihren Geist zur Ruhe kommen. Sie schickte die beiden auf Serbisch flüsternden Frauen hinaus, um einen Moment der Stille zu genießen. Allerdings konnte sie ihre Gedanken nicht gänzlich beiseiteschieben. Michaels Worte schwirrten ihr immer noch im Kopf herum. Gábor war ein halber Türke. Diese Enthüllung bestürzte sie zutiefst. Und obwohl sie doch schon seit Monaten hier war, hatte sie jetzt erst davon erfahren.
Keiner redet wirklich mit mir.
Sie war wie ein Fremdkörper zwischen den grobschlächtigen Rittern, die ihre Gattinnen auf ihren eigenen Burgen zurückgelassen hatten, um Graf Hunyadi in Belgrad zu dienen. Die Zahl der adligen Frauen auf der Festung war an einer Hand abzuzählen, und keine konnte Veronika als Freundin bezeichnen. Über was sollte sie auch mit ihnen reden, wenn sie nichts von ihrer Herkunft und ihrer wölfischen Seite erzählen durfte? Sie ließ sich tiefer in das tröstend warme Wasser sinken. Wenigstens gab es Michael, der ihr die Wahrheit erzählt hatte und ihr versprochen hatte, sie könne ihm vertrauen. Aber konnte sie das wirklich? Es gab einen Keil zwischen ihm und Gábor, das hatte sie ganz deutlich gespürt. Vielleicht wollte er sie im Falle eines Zerwürfnisses zwischen den beiden auf seiner Seite wissen. Ohne ihn hätte sie wahrscheinlich nie von Gábors Geschichte erfahren. Auf einmal schämte sie sich, Schlimmeres von Michael zu glauben, als dass er einfach um ihr Wohl bemüht war. Sie wurde schon
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