Mondherz
Cilli mag mich nicht lieben, doch er hat einen scharfen Verstand. Der wird ihm helfen, seine persönlichen Fehden zurückzustellen.« Seine Stimme war ruhig, doch Gábor hörte, wie es darunter brodelte. »Und selbst wenn uns König Ladislaus seine Unterstützung versagt, hat mir der päpstliche Gesandte an seinem Hof doch die Hilfe des Heiligen Stuhls versprochen. Ein Treffen mit ihm lohnt allemal.«
Gábor biss die Zähne zusammen. Er hoffte, dass Hunyadi recht behielt. Er selbst hegte kaum Vertrauen in den Verstand der Menschen, und noch weniger in die helfende Hand der Kirche. Ein Kardinal war es gewesen, der vor zehn Jahren den damaligen ungarisch-böhmischen König überredet hatte, einen gerade geschlossenen Waffenstillstand zu brechen und mit einer geschwächten Armee nach Warna in einen aussichtslosen Kampf gegen die Türken zu ziehen. Mit Grauen erinnerte er sich an die verlorene Schlacht. Zehntausende Männer, darunter auch der König, hatten ihr Leben verloren. Graf Hunyadi war in die Gefangenschaft des verräterischen Woiwodenfürsten Vlad Dracul geraten, der sich mit den Türken verbündet hatte. Gábor war zu Viktor geritten, um ihn zu warnen, und hatte sich mit Leib und Seele der Prophezeiung verpflichtet. Danach hatte er Hunyadi im letzten Moment befreien können. Und worin hatte die Hilfe der Kirche seitdem bestanden? Aus Worten und Versprechungen.
Er wusste, woher seine Verbitterung rührte: Er machte sich Sorgen. Seit Konstantinopel vor zwei Jahren gefallen war, schien die Macht der Osmanen schier ins Unermessliche gewachsen zu sein. Er konnte fast körperlich spüren, wie sie ihre Truppen an den Landesgrenzen zusammenzogen und auf den richtigen Augenblick lauerten, um anzugreifen. Sie kämpften mit der Entschlossenheit archaischer Krieger, gestützt von fortschrittlichsten Kanonen und einer strategischen Kampfkunst, die ihresgleichen nirgends auf der Welt finden konnte. Gábor wusste, wie erbarmungslos sie waren, die Janitscharen, die lieber ihr Leben opferten, als auf dem Schlachtfeld zurückzuweichen. Er sah ihre wehenden Fahnen vor sich, ihre Pferde, ihre Säbel, hörte ihren Schrei
la-allah-il-allah
über den Schlachtfeldern erschallen. Seine Fäuste krampften sich unter dem Tisch zusammen. Er hasste sie so sehr für das, was sie ihm angetan hatten. Wie konnten der Papst und die Adligen des Abendlands nur so überheblich und töricht sein, diese Gegner zu unterschätzen?
Graf Hunyadi unterbrach seine Gedanken, als er an seinen Platz zurückkehrte und sich neben ihm niederließ.
»Gábor, Ihr müsst mir nachher genau berichten, wie Eure Reise verlaufen ist«, sagte er leise. »Wir müssen wissen, welche Stimmung entlang der Donau herrscht. Wer ist für uns, wer gegen uns?« Seine Stirn war von tiefen Falten zerfurcht.
Gábor nickte. Johann Hunyadi selbst hatte seine Beobachtungsgabe geschult und in langen Gesprächen seinen Blick für die Politik geschärft. Er wusste, auf welche Dinge sein Dienstherr Wert legte, und er hatte seine Beobachtungen bereits während der Reise überdacht und im Geiste sortiert. Es würde ein anregendes Gespräch werden, und er war auf die Schlussfolgerungen des Grafen gespannt. Wenn jemand noch eine Aussicht hatte, die Osmanen aufzuhalten, dann Johann Hunyadi. Nicht nur sein strategisches Geschick, auch sein Wissen über Kriegsführung und Truppenaufstellung waren legendär. Auf Außenstehende mochte er anfangs wegen seiner Bedächtigkeit wie ein einfacher Mann wirken. Er war von kleingewachsener, untersetzter Statur und mit seiner niedrigen Stirn und der kantigen Nase kaum gutaussehend zu nennen. Auch seine kulturelle Bildung ließ zu wünschen übrig. Lesen und Latein hatte er sich im Erwachsenenalter mühsam selbst beibringen müssen. Doch Gábor sah die Scharfsicht, mit der er plante und redete. Nur seine Wutanfälle waren Vulkanausbrüche, vor denen sich jeder Umstehende schleunigst in Sicherheit bringen musste, wollte er nicht von der funkensprühenden Glut getroffen werden.
Gábor ließ seinen Blick zu seinem Gegenüber wandern, zu Laszlo Hunyadi. Er war ein braver Kerl, der alles für seinen Vater tat, doch ihm fehlte dessen Weitsicht. Das hitzige Gemüt, das unter der ruhigen Oberfläche schmorte, hatte er von ihm geerbt, doch bei ihm genügte bisweilen der geringste Anstoß, um das Feuer ausbrechen zu lassen.
»Esst, Gábor, Ihr müsst doch hungrig sein«, sagte da Michael, der neben Laszlo saß. »Ihr seid sicher lange unterwegs gewesen.« Sein
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