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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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Ton war zuvorkommend, doch sein mitfühlendes Lächeln behagte Gábor nicht. War er ein schwaches Weib, das gefüttert werden musste? Er brummte eine einsilbige Antwort und zog den Dolch heraus, der in einer Lederscheide an seinem Gürtel steckte. Geschickt raspelte er sich ein Stück vom Braten ab und lud es sich auf den Teller, dann griff er nach dem Brotlaib, der vor Veronika auf dem Tisch lag.
    Ihren Duft hatte er bereits wahrgenommen, als er sich gesetzt hatte. Süß und berauschend drängte er immer stärker in seine Sinne und weckte in ihm das Verlangen, sie zu berühren. Er hatte bisher vermieden, sie anzuschauen, doch nun hob er seinen Blick. Sie saß sehr aufrecht, und ihr Gesicht war blass und entrückt, als würden ihre Gedanken sie gerade in weite Ferne tragen. Wo war die temperamentvolle Adelstochter aus den Bergen geblieben? Vor ihm saß eine Fremde, die ihren Blick damenhaft gesenkt hielt. Einst hatte er gedacht, schlichte Gewänder stünden ihr am besten, doch dieses Urteil musste er nun revidieren. Das samtene Kleid, das sie trug, war von elegantem Schnitt und fiel in weichen Falten an ihr herab. Das Silbergrau spiegelte die Unergründlichkeit ihrer Augen wider. Nur an ihren Brüsten straffte sich der Stoff, so dass er darauf achten musste, dort nicht allzu genau hinzusehen.
    Obwohl Veronika seinen Blick spüren musste, erwiderte sie ihn nicht. Sie kniff ihre Lippen zusammen, und jäh durchzog eine wilde, feindselige Note ihren Duft, die ihn zurückfahren ließ. Der Wolf in ihm drängte sich an die Oberfläche. Er wollte sie packen und schütteln, so wühlte ihn ihre Ablehnung auf. Er senkte den Kopf und kämpfte dagegen an. Er durfte dem Wolf nicht nachgeben! Seine Hand zitterte vor Anstrengung, während sie mechanisch weiter das Essen zum Mund führte. Endlich hatte er das Gefühl, seine wölfische Seite wieder unter Kontrolle zu haben. Nach Ablenkung suchend, fragte er in einem förmlichen Tonfall, der seine Verwirrung verbarg: »Veronika, wie ist es Euch in meiner Abwesenheit ergangen?«
    Nun sah sie ihn an. Es lag Überraschung, aber nicht das geringste bisschen Wärme in ihrem Blick. »Gut«, sagte sie gedämpft und mit starkem Akzent. »Ich lerne viel.«
    Jetzt erst merkte er, dass er so unhöflich gewesen war, ungarisch mit ihr zu sprechen. »Das freut mich«, antwortete er knapp auf Deutsch und beendete das Gespräch mit einem harschen Nicken. Ihr Gesicht schien in Marmor gemeißelt zu sein, als sie den Blick von ihm abwandte. Jetzt, wo er sich wieder unter Kontrolle hatte, brachte ihre Abneigung ihn dazu, seine Gefühle zu überdenken. Er verachtete sich für den Aufruhr, den sie in ihm verursachte. Es war der Wolf in ihm. Seit er den Saal betreten hatte, spürte die Kreatur eine Intimität zu ihr, als gehörte sie ihm ganz allein, und zwar auf höchst ungehörige Weise. Jetzt erkannte er, dass der Wolf bereits seit ihrem ersten gemeinsamen Waldlauf so empfand. Der Abstand durch die Reise hatte den Besitzerinstinkt des Tiers nur verstärkt. Er musste dagegen ankämpfen, mit aller Macht seines menschlichen Verstandes. Nie durfte sie erfahren, dass er sie anders betrachtete als mit der kühlen Distanz eines pflichtbewussten Vormunds. Sie war die Auserwählte, die der Wolfsbund so lange gesucht hatte, und er durfte nichts tun, was die Prophezeiung gefährdete.
    Doch immer wieder blickte er unter gesenkten Wimpern zu ihr hinüber. Ihr Ausschnitt zeigte den Ansatz ihrer Brüste, ihre Haut war weich und weiß wie Schwanendaunen.
    Michael war auf der Bank näher an sie herangerutscht und beugte seine riesenhafte Gestalt über sie, um ihr Nichtigkeiten ins Ohr zu flüstern. Sie quittierte seine Worte mit einem lächelnden Nicken. Ihre blonden Haarschöpfe berührten sich kurz, doch es schien sie nicht zu stören. So vertraut wie Freunde waren sie miteinander – oder wie Liebende? In Gábors Herz bohrte sich die Eifersucht spitz wie ein Pfeil. Sein Wolf grollte und wehrte sich gereizt gegen die Fesseln. Am liebsten hätte er sich auf Michael gestürzt. Er hatte dem Hauptmann verboten, sich Veronika jemals ungebührlich zu nähern! Er atmete tief, um sich zu beruhigen, gleichzeitig arbeitete sein Verstand fieberhaft. War Michael schuld, dass Veronika ihm gegenüber eine solche Abneigung zeigte? Am Abend vor seiner Abreise war sie versöhnlicher gewesen. Wer wusste schon, was er noch in ihr Ohr flüsterte, wenn Gábor nicht da war.
    Rasch beendete er sein Mahl, dann wandte er sich an Johann

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