Mondherz
Wölfin spürte. Der Wald um sie herum schien zu verschwinden. Seine Farben verblassten und seine Geräusche verschmolzen zu einem belanglosen Flüstern. Veronika erzitterte. Sie versank in der warmen Dunkelheit seiner Augen, seinem Duft, spürte das rauschende Trommeln seines Herzschlags, als wäre er in ihrer eigenen Brust. Ihr Wolfsblut stimmte ohne Zögern mit ein. Für einen zeitlosen Augenblick wurden sie eins, vereint unter einem magischen Bann, der sie losgelöst hatte von der übrigen Welt.
»Nein.« Jäh wandte Gábor den Kopf ab.
Sie schrak zusammen, als wäre sie aus einem Traum erwacht. Der Wald war wieder da, es hatte zu schneien begonnen. Sie suchte Gábors Blick, doch er blieb abgewandt.
»Der Morgen graut.« Er sah plötzlich erschöpft aus. »Wir sollten zurück in die Festung gehen. Kommt!«
Doch sie zögerte. Was war gerade mit ihnen geschehen? Und warum hatte er sich vor ihr zurückgezogen und die Verbindung unterbrochen? Sie bebte am ganzen Körper. Er musste es doch auch gespürt haben. Sie wollte den Moment festhalten, der ihr auf seltsame Weise kostbar erschien. Ihre Wölfin drängte sie dazu. Aus irgendeinem Grund schien sie ihm zu vertrauen. Sie verstand es nicht, doch sie wollte den Wunsch auch nicht länger ignorieren.
»Wartet«, sagte sie. Er hielt inne, sein Gesicht eine undeutbare Maske. Er war wieder ein Fremder, und sie überfiel eine unruhige Scheu. »Glaubt Ihr mir, wenn ich Euch verspreche, dass zwischen Michael und mir nichts war und niemals etwas sein wird?«, fragte sie.
»Ja, das tue ich.« Er zuckte die Achseln, als wäre es ihm plötzlich gleichgültig. »Eure Reaktion auf meine Frage hat mich überzeugt.«
Wenn sie doch ebenso viel aus seinem Verhalten herauslesen könnte. Er reagierte so widersprüchlich, als spränge er zwischen verschiedenen Charakteren hin und her. Er hatte das Gespräch mit ihr gesucht, doch mit jedem Satz stieß er sie zurück, als könne er ihre Gegenwart kaum ertragen. Schon drehte er sich von ihr weg, dem Felsen zu, in dem sich die Geheimtür verbarg. Doch sie wollte ihn nicht gehen lassen, nicht nach dem, das gerade zwischen ihnen geschehen war.
Sie riss den Kopf hoch, presste die Worte an einem harten, pochenden Klumpen in ihrer Kehle vorbei. »Wollt Ihr mich einfach so stehen lassen? Ohne noch einmal mit mir zu sprechen?« Ihre eigenen Worte klangen schrill in ihren Ohren. »Ihr müsst mir sagen, was Ihr mit mir vorhabt! Ihr werdet mit Graf Hunyadi nach Buda reisen, oder? Wenn wir uns wiedersehen, ist es wahrscheinlich schon Frühling.«
Er blieb stehen und sprach über die Schulter mit ihr. »Nein, der Graf reist ohne mich ab.« Seine Stimme klang kühl und sachlich. »Ich bleibe über den Winter hier.«
Sie öffnete ihren Mund, zögerte. »Das ist eine gute Nachricht«, wisperte sie schließlich. Sie wusste nur, dass sie dies wirklich so empfand, aber nicht, woher sie den Mut nahm, es auszusprechen.
Endlich drehte er sich wieder um. »Es freut mich, dass Ihr das so seht.« Unverhofft hellte ein Lächeln seine Züge auf. Es war nur ein Zucken seiner Mundwinkel, doch ihr erschien es wie ein Sonnenstrahl. Sie erschauerte. Sie fand, dass er nie schöner ausgesehen hatte als jetzt. Das diffuse Licht der Morgendämmerung ließ die Schatten aus seinem Gesicht verschwinden und zeichnete weich die Kanten seiner Wangenknochen nach. Ob er spürte, wie schnell ihr Herz schlug?
Er räusperte sich. »Ihr habt recht, wir sollten mehr Zeit miteinander verbringen. Schließlich seid Ihr mein Mündel. Wenn Ihr wollt, können wir die Zeit bis zur Jahreswende damit nutzen, dass ich Euch Unterricht gebe.«
»Unterricht?« Sie war verwirrt, doch gleichzeitig erleichtert. Er schien nichts von dem Wirbelsturm zu ahnen, der soeben durch ihr Herz gezogen war und von dem sie selbst nicht wusste, was er bedeutete. »Was wollt Ihr mir beibringen?«
»Ihr wisst inzwischen, wie Ihr Eure Kräfte kontrolliert. Nun müsst Ihr lernen, sie auch einzusetzen.« Seine Miene straffte sich, das Lächeln verschwand. »Wir müssen uns für den Krieg gegen die Türken rüsten, dieser Kampf ist unsere oberste Pflicht.«
»Ich soll kämpfen lernen?« Sie hatte sich wieder gefasst und zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. »Ich bin eine Frau, kein Soldat.«
»Ihr seid eine Werwölfin«, sagte er. »Und als mein Mündel habt Ihr Anteil am Wolfsbund, auch wenn Ihr davon kaum etwas wisst.« Er musterte sie, und sie richtete sich unwillkürlich auf. »Ihr fragt, ob Ihr kämpfen
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