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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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Fähigkeiten, die der Bund von uns verlangt, sind allerdings vielfältiger, als nur das Schwert richtig führen zu können und unsere wölfische Wut zu beherrschen.«
    Täuschte sich Veronika, oder war Miklos bei Gábors letztem Halbsatz zusammengezuckt? Wenn es so war, dann ignorierte Gábor es jedenfalls. »Miklos fehlt noch einiges politisches Wissen«, fuhr er fort. »Und ich glaube, dass dies Kenntnisse wären, die Euch ebenfalls von Nutzen sein könnten. Zuerst sollt Ihr einen Einblick darin bekommen, wie ein Haushalt funktioniert. Unterschätzt das nicht.« Er lächelte. »Viele kleine Räder müssen ineinander greifen, um solch eine Festung zu versorgen, und schnell werdet Ihr merken, wie kompliziert Politik sein kann.«
    »Politik?« Sie rümpfte unwillkürlich die Nase. Das schien ihr kein interessantes Themenfeld zu sein, davon abgesehen, dass es für eine Frau nicht angebracht war, sich damit zu beschäftigen.
    Gábor zog die Augenbrauen hoch. »Ihr habt bereits jetzt ein Urteil gefällt? Ich dachte, Ihr hättet mehr Geduld.«
    »Das fällt mir schwer, wenn Ihr mich so lange warten lasst.« Sie schwächte ihre Antwort mit einem Lächeln ab. »Was versprecht Ihr Euch davon, wenn ich mich in Politik auskenne? Dieses Wissen ist nichts, das mir in täglichen Belangen weiterhilft.«
    »Wissen ist mehr als sein praktischer Zweck. Wissen bedeutet, dass Ihr Euren Verstand schult. Ihr sollt das, was um Euch geschieht, nicht nur sehen, sondern auch begreifen.«
    »Das tue ich doch auch jetzt schon!«
    »Meint Ihr?« Er stand auf. »Kommt mit mir ans Fenster. Miklos, du auch.«
    Verwundert folgte sie ihm. Er wischte den Schnee vom Fenstersims und deutete nach draußen, auf den Hof hinunter.
    »Was seht Ihr?«, fragte er.
    Sie beugte sich über den Fenstersims. Schnee bedeckte die Zinnen und glitzerte in der Sonne. Verstreut eilten Leute über den Hof.
    »Setzt Eure Wolfssinne ein«, forderte Gábor sie auf.
    Sie legte eine Hand an die Stirn, um die Sonne abzuschirmen. Der Hof war eine Steinwurfweite entfernt, doch wenn sie sich konzentrierte, sah sie die Dinge so scharf wie unter einem Brennglas. Sie sah die Riemen, welche die Pferde an Holzpflöcke banden, die unruhigen Atemwolken vor ihren Nüstern. Sie konnte die Lippenbewegungen von drei Rittern erkennen, die neben ihren Tieren standen, ihre Stimmen ein sanftes Gesumm.
    »Konzentriert Euch«, sagte Gábor, der ihrem Blick gefolgt war. »Könnt Ihr die Worte verstehen?«
    Tief atmete sie ein und vertrieb alle Gedanken, bevor sie ihre Aufmerksamkeit erneut auf das Geschehen dort unten richtete. Als sie sich wieder zurücklehnte, ging ihr Atem rasch, und ihr war so warm, dass sie unwillkürlich mit zwei Fingern ihren Kragen lockerte.
    »Nun?« Gábors Blick ruhte voller Spannung auf ihr.
    »Die drei Männer sprechen ungarisch. Sie reden über Schnee.« Sie zögerte. Was erwartete er von ihr? »Ihre Stimmung scheint eher gedrückt zu sein. Sie warten auf einen Boten, der sich wegen des schlechten Wetters verzögert. Die Knechte dort drüben sind dabei, ein Fuhrwerk mit Nahrung zu beladen, Kornsäcke, Kohlköpfe und Hühner in Käfigen.«
    Gábor nickte nur und wandte sich an Miklos. »Was hast du gesehen?«
    Miklos räusperte sich. »Drei junge Ritter aus Graf Hunyadis Gefolgschaft. Sie tragen zwar einfache Kleidung, aber der Rabe, das Wappen des Grafen, ist an die Seite ihrer Sättel gestickt. Ihre Rösser sind zu edel, als dass sie einfache Kriegsknechte sein könnten. Söhne von Landadligen aus Hunyadis Heimat Temeschburg, schätze ich. Sie sind gerade erst angekommen, ihre Tiere sind verschwitzt. Sie waren auf der Jagd, denn an ihren Sätteln hängen tote Rebhühner. Sie reden von dem Boten, den wir vom Königshof in Buda erwarten. Dort weilt der Graf. Wir wissen, dass er sicherlich bald einige seiner Männer auffordern wird, ihn im neuen Jahr in Temeschburg bei der Truppenzusammenstellung zu unterstützen. Wahrscheinlich hoffen die drei Ritter, dabei zu sein, da sie hier außer der Jagd nichts zu tun haben.« Er holte Luft, den Blick auf den Hof gerichtet. Veronika starrte ihn verblüfft an. Bisher hatte sie ihn noch nie so viel reden hören. Sie vergaß seine Narben und beobachtete nur seine aufgeweckten blauen Augen, die so viel erspähten, und seinen Mund, der solch aufschlussreiche Worte von sich gab.
    »Bei dem Fuhrwerk handelt es sich um einen Händlerwagen, der für weite Strecken gebaut wurde«, fuhr er fort. »Er ist stabiler als die örtlichen

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