Mondherz
lernen sollt, und ich sage ja«, fuhr er fort. »Ich meine jedoch nicht den körperlichen Kampf, sondern den Kampf des Verstandes, den eine Frau ebenso gut wie ein Mann ausfechten kann.«
Sie war verlegen, da seine Augen so forschend auf ihr ruhten. Sein Vorschlag klang so ungewöhnlich, dass sie sich nicht recht vorstellen konnte, was er meinte. Doch sie fragte nicht weiter nach, sondern nickte mit neuer Entschlossenheit. Es war genug mit dem ewigen Misstrauen, der ewigen Angst. Seit sie in Belgrad war, hatte Gábor ihr nichts Schlimmes getan. Im Gegenteil, seine harten Worte heute Nacht bewiesen vor allem, dass er besorgt um sie war. Es war Zeit, ihm etwas Vertrauen zu zeigen.
Sie holte tief Atem. »Ich bin bereit.«
[home]
7 . Kapitel
Belgrad, Winter 1455
I n den folgenden Tagen sah Veronika weder Gábor noch Michael außerhalb der gemeinsamen Abendmahlzeiten bei Hof. Michael humpelte am ersten Abend, und sie war sich sicher, dass seine Verletzung von dem Kampf mit Gábor herrührte. Er verlor allerdings kein Wort darüber. Einen Tag später schien sein Bein bereits geheilt und seine Laune wieder glänzend zu sein. Es schien ihr fast, als wären der nächtliche Ausflug und ihr Gespräch mit Gábor nur Splitter eines dunklen Traums gewesen.
Graf Hunyadi war bereits Richtung Königshof abgereist, und das keinen Augenblick zu früh. Der Winter packte Belgrad nun endgültig mit eisiger Faust. Eine Schicht aus Schnee und Eis gefror an den Mauern und brachte die Bauarbeiten zu einem raschen Ende. Aus dem Süden kam die Nachricht, dass der Vormarsch der Türken ebenfalls vom Winter gestoppt worden war, und viele Bewohner der Stadt atmeten auf. Nur einige Schwarzseher unkten, dass der Feind die Zeit nutzen würde, um seine Kräfte für einen neuen Vorstoß im Frühjahr zu bündeln, die anderen versanken in Antriebslosigkeit. Wer konnte schon immer in Furcht verharren? Der Winter war die Zeit der Ruhe, und die kurzen Tage reichten kaum aus, um wach zu werden. Veronika schien es, als wäre sie die Einzige, die immer noch von Unruhe getrieben war. Sie wanderte zerstreut durch ihre Kammer, berührte Möbel und Wände und band ihr Haar zu schiefen Knoten, die sich alsbald wieder lösten. Die holzvertäfelten Wände, die Truhen und der schwere Vorhang, hinter dem sich ihr Bett verbarg – all die dunklen Farben schienen sie zu erdrücken. Als Gábor sie endlich besuchte, freute sie sich mehr, als sie sich anmerken ließ.
Nach zweimaligem Anklopfen betrat er die Frauengemächer, leise wie eine Katze und mit einem argwöhnischen Blick, den er durch den Raum und über Veronika schweifen ließ, als wäre sie nur ein weiterer Einrichtungsgegenstand. Während sie noch Atem holte, überrumpelt von der Plötzlichkeit seines Auftauchens, war er schon an ihr vorbei und öffnete eines der Fenster zum Hof hinaus. Ein frischer Windstoß fuhr in den Raum und ließ seine Haare flattern.
»Guten Morgen, Herr Gábor«, sagte sie irritiert in die Stille hinein.
»Frau Veronika.« Seine Stimme klang sachlich. Er wandte sich zu ihr um und gab ihr vorsichtig, als hätte er Sorge, sie würde sie fallen lassen, eine dicke lederne Mappe in die Hand.
Auch Miklos brummte eine Begrüßung, allerdings ohne Veronika anzusehen. Er war Gábor auf dem Fuß gefolgt, wie stets mit gesenktem Haupt, als könne er damit die grauenhafte Entstellung seines Gesichts verbergen. Nun allerdings musterte er ungeniert die Möbel, befühlte einen Wandteppich mit den Fingern und klopfte gegen den Kamin, in dem frische Scheite knisterten.
Trotz der Kälte draußen trugen beide Männer nur bestickte Hemden aus Barchent mit offenen Krägen. Sie ließen sich auf den Bänken gegenüber von Veronika nieder. Gábor deutete auf die Mappe in ihren Händen.
»Ich habe Euch Lektüre mitgebracht.« Er sagte dies, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. »Urkunden, Briefe, Handelsverträge, Vorratslisten.«
»Vorratslisten?«, wiederholte sie und schnaufte recht undamenhaft. Miklos grunzte, und als sie ihn ansah, bemerkte sie, dass er ein Lachen zu verbergen suchte.
»Damit beginnt Euer Unterricht.« Gábor lehnte sich zurück. Auch seine dunklen Augen glitzerten amüsiert. »Ihr wisst, dass ich Miklos schon seit einigen Jahren meinen Schüler nenne. Er soll alles lernen, was ich selbst beherrsche, so hat es mein Lehrer auch mit mir gehalten. Wer kann einem Werwolf besser das wesentliche Wissen, das er braucht, beibringen als ein anderer Werwolf? Die
Weitere Kostenlose Bücher