Mondherz
Landes.«
Sorgfältig rollte er das Pergament wieder zusammen.
»Wollt Ihr mir nicht mehr über den Wolfsbund erzählen?«, fragte Veronika plötzlich. »Bisher besteht mein Wissen nur aus Einzelteilen, die ich kaum zusammenfügen kann.«
Gábor schien ihre Frage zuerst gar nicht gehört zu haben. Er nahm einen tiefen Schluck Wein, dann erst sah er sie an. »Was wollt Ihr wissen?«, fragte er gedehnt, als störe ihn ihr abruptes Eingreifen in den Gesprächsverlauf.
Sie nahm allen Mut zusammen. »Wer ist der Anführer des Bundes? Euer Lehrer Viktor?«
»Viktor.« Gábors Blick schien weit in die Ferne zu schweifen. »Er ist einer der Ältesten. Seit der Bund gegründet wurde, gibt es immer mehrere von ihnen. Diese Ältesten scharen ihre Rudel um sich und leiten sie an.«
»Könnt Ihr mir ihre Namen nennen?«, fragte Veronika begierig nach.
Gábor nickte zu Miklos hinüber, und dieser ergriff eifrig das Wort. »Pavel, Graf von Breunen, auch der Feldherr genannt. Er dient am Hof des böhmischen Regenten Podiebrad in Prag«, rezitierte er. »Pierre de Lauris, man nennt ihn die rechte Hand. Er dient dem französischen König Karl VII ., bisher ohne dass jener um die wölfische Natur seines engsten Beraters weiß. Ricardo Moya, der Kreuzfahrer. Er lebt in Spanien, und sein Kampf gegen die Türken führte ihn bis nach Malta und zu den Korsaren. Georg, der Gerechte, Graf von Canbury in England.« Miklos zählte sie an den Fingern ab, bis er bei Nummer fünf war. »Und schließlich Viktor, der Mönch genannt, von dem du bereits weißt.«
»Über so viele Länder erstreckt sich der Bund.« Veronika staunte. »Und wer wählt die Ältesten aus?«
Gábor hob die Augenbrauen. »Niemand von uns kann bestimmen, wer zum Ältesten wird, und keiner kann sich dieses Amt mit Gewalt oder Schmeichelei erwerben. Wenn ein Ältester stirbt, geht die Stärke seines Wolfs an einen anderen über, so war es schon immer. Keiner kann vorher sagen, wer das sein wird.« Er hob die Hand, als wisse er bereits um ihre nächste Frage. »Wenn Ihr einem Ältesten begegnet, werdet Ihr ihn erkennen. Er strahlt eine Stärke aus, die ihn unter den Wölfen als Anführer kennzeichnet. Eure Wolfsseite wird sich ihm unterwerfen, noch bevor Ihr ein Wort mit ihm gewechselt habt.«
Veronika schwieg, während sie sich dies vorzustellen versuchte. Es gelang ihr nur schwer. »Und wie groß ist das Rudel eines Ältesten?«
»So unterschiedlich die Charaktere der Ältesten sind, so unterschiedlich sind ihre Rudel. Viktor hat sich vor vielen Jahren in die Einöde zurückgezogen. Von jenen wenigen, die er einst gebissen hat, sind nur noch Michael und ich übrig.« Gábors Blick schweifte aus dem Fenster. »Viktors Vertrauen in uns ist so groß, dass er uns viele Freiheiten zugesteht. Normalerweise darf nur ein Ältester neue Werwölfe schaffen, doch er erlaubte Michael, sein eigenes kleines Rudel zu gründen, und ich habe Miklos und Euch als meine Schüler gewählt.«
»Aber wie kann Viktor Ältester bleiben, ohne überhaupt in Erscheinung zu treten? Wie kann er wissen, was Ihr tut?«, wunderte sich Veronika.
Gábor zögerte, ehe er weitersprach. »Viktor ist schon sehr alt. Aber seine Abwesenheit bedeutet nicht, dass er nichts weiß. Er hat treue Augen und Ohren, die durch das Land reisen und ihm Bericht erstatten. Durch sie können wir ihm Botschaften zukommen lassen.«
Wer waren diese Augen und Ohren? Veronika runzelte die Stirn. Sie war unzufrieden mit dieser kryptischen Antwort, doch Gábor fuhr fort, als bemerke er dies nicht.
»Pavel von Breunen, den sie den Feldherrn nennen, entspricht wahrscheinlich eher dem Bild, das Ihr Euch von einem Ältesten macht. Er hat dreißig Werwölfe in seinen Diensten, die er alle sorgsam gewählt und selbst gebissen hat. Der Ruf ihrer Kampfkunst eilt ihnen unter allen Werwölfen voraus.«
»Und wie viele Werwölfe gibt es?«
»Der Wolfsbund zählt etwa zweihundert Mitglieder.«
»Das erscheint mir recht wenig«, sagte Veronika überrascht.
Viel zu wenige, um die Christenheit zu beschützen.
Gábor legte die Stirn in Falten. »Ich finde, das sind genug. Denkt daran, wir wollen keine Macht und kein Aufsehen. Je größer unsere Zahl, desto größer ist die Gefahr, dass Menschen von uns erfahren. Viele würden nicht verstehen, was wir sind. Sie würden uns hassen und verfolgen.«
Er hatte recht. Ein Schauer fuhr ihr über den Rücken. Es war gar nicht so lange her, dass sie selbst dafür plädiert hätte, solche
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