Mondherz
Teufelswesen zu jagen.
Gábors schwarze Augen fixierten sie, und sie waren wie Magnete, die all ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen. Erneut begann er zu erzählen, von Königshäusern und alten Dynastien, denen der Bund gedient hatte. Von einigen der Könige hatte Veronika bereits am Hofe der Cillis gehört, und doch war es etwas ganz anderes, Gábor davon berichten zu hören: nicht Geschichten, sondern Geschichte. Sie begriff, dass die Geschichten eines Erzählers irgendwann einmal zu Ende gingen, die große Geschichte hingegen immer weiter voranschritt. Und sowohl die Ereignisse, die erst gestern geschehen waren als auch die Legenden, die seit Jahrhunderten erzählt wurden, spielten eine Rolle in der Gestaltung aller Dinge.
Wenige Wochen später studierten Veronika und Miklos unter Gábors Anleitung eine alte Urkunde, als Michael Szilagyi an die Tür klopfte. Alle drei wussten mit ihren feinen Sinnen sofort, dass er es war, und überrascht blickten sie auf. Noch nie war es vorgekommen, dass Michael dem Unterricht einen Besuch abstattete. Im Gegenteil, seine spöttischen Kommentare klangen Veronika noch in den Ohren.
Mädchen, wozu wollt Ihr Euren hübschen Kopf mit so viel Wissen füllen? Nicht, dass Eure Stirn noch faltig wird und Eure Augen trüb vom vielen Lesen.
Es hatte ihr weh getan, ihn so etwas sagen zu hören. Vielleicht sprach er aber auch so, weil er immer noch wütend auf Gábor war wegen des verlorenen Kampfs im Wald. Aus dem Verhältnis der beiden wurde sie einfach nicht klug. Öfter hatte sie bei den Mahlzeiten den Platz an Michaels Seite eingenommen, wenn er sie darum bat, und sie hatte die charmanten Gespräche mit ihm genossen. Gábor hatte anscheinend nichts dagegen einzuwenden – wenn er unter den Menschen jedoch schon als distanziert galt, erschien er ihr Michael gegenüber wie ein Eremit mit Schweigegelübde. Waren sie Freunde oder Gegner, oder gar Rivalen um etwas, von dem sie nichts wusste?
Als Michael die Frauenstube betrat, war seine Stirn gerunzelt. Sein Anliegen musste etwas Ernstes sein.
»Michael, was führt dich zu uns?« Gábor erhob sich. Veronika und Miklos folgten seinem Beispiel.
»Ich wollte mich von der Fleißigkeit deiner Schüler selbst einmal überzeugen.« Michaels Lächeln spiegelte sich nicht in den stahlblauen Augen. »Außerdem habe ich schlechte Nachrichten für dein Mündel, fürchte ich.« Sein Blick ruhte auf Veronika. »Ich will vermeiden, dass Ihr erst beim öffentlichen Abendessen davon erfahrt.«
»Schlechte Nachrichten?« Eine jähe Furcht schnürte Veronikas Brust zu. Doch ihre angelernte Höflichkeit versah weiterhin ihren Dienst. »Wollt Ihr Euch setzen, Hauptmann? Ich schenke Euch einen Becher Wein ein.«
»Danke.« Hurtig ließ er seinen großen Körper auf der Bank nieder, die besorgniserregend ächzte, und strich sich über das kurzgeschnittene Haar. »Den ganzen Tag kam ich noch nicht zur Ruhe.« Er schlürfte den Wein in sich hinein, während sein Blick über den Tisch schweifte.
»Stammbäume? Heiratsurkunden? Lässt Euch Gábor die ganze ungarische Geschichte auswendig lernen?« Er schnaubte und schüttelte den Kopf, besann sich sichtlich wieder auf den Grund seines Besuchs. »Folgendes ist geschehen: Heute Morgen erhielt ich einen Brief meiner Schwester, der Gräfin Hunyadi, aus Temeschburg. Elisabeth Cilli, Mathias Hunyadis angetrautes Weib, ist vor einer Woche gestorben.«
»Elisabeth ist tot?« Veronikas Hände krallten sich in die Tischkante. Ihre arme Cousine, sie war doch erst 14 Jahre alt gewesen. Ihr Herz wurde so schwer, sie meinte, es müsste ihr aus der Brust und auf den Boden fallen.
»Sie litt wohl schon länger an schwerem Husten und Fieber«, sagte Michael. »Der Winter ist verteufelt kalt dieses Jahr.« Er räusperte sich. »Mathias hat es sich nicht nehmen lassen, vom Budaer Königshof nach Temeschburg zu reisen, um die letzten Tage bei seiner Frau zu sein. Ein tapferer kleiner Bursche, mein Neffe, und mit einem großen Herz gesegnet. Er kannte das Mädchen ja kaum. Ulrich Cilli hat ihn reisen lassen, war selbst jedoch zu beschäftigt, um seine Tochter noch einmal zu sehen.«
Veronika hörte kaum, was er sagte. Sie schüttelte den Kopf und flüsterte: »Ich hätte bei ihr sein sollen.«
Elisabeth war bestimmt einsam gewesen. Sie hätte jemanden gebraucht, dem sie vertraute und der sie wieder gesund pflegte. Sie dachte an Elisabeths sorgloses Lachen an ihrem letzten gemeinsamen Abend in Buda. Sie war schuld
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