Mondherz
der Graf ein. »Gábor von Livedil wird nach Belgrad reiten und in die Festung eindringen, um meinen Schwager über unsere Ankunft zu informieren. Wir brauchen eine Strategie, die Michael Szilagyi und seine Männer retten kann.« Seine Augen blitzten. »Ich habe bereits eine Idee.«
Gábor schnallte den Beutel mit den türkischen Kleidern an den Sattel seiner Stute. Am Horizont zeigte ein Silberstreif bereits den Morgen an. Das Heerlager war ruhig, die meisten Männer schliefen. Er selbst hatte zwischen den Vorbereitungen für seinen Aufbruch nur wenige Stunden Ruhe finden können, doch das beeinträchtigte seine Aufmerksamkeit kaum. Sein Bedürfnis nach Schlaf war schon seit langem geringer als das der Menschen.
Behutsam führte er die Stute zwischen den Zelten hindurch. Außerhalb des Zeltlagers der Adligen und Heerführer schliefen die meisten Kriegsknechte auf dem nackten Boden. In dünne Decken gewickelt lagen ihre Körper um die erloschenen Feuerstellen.
Dreißigtausend Mann hatte Graf Hunyadi zusammengebracht, und hundert Galeeren, die nun auf der Donau flussabwärts fuhren. Dies alles hatte er in den letzten Monaten ohne die Hilfe des ungarischen Königs erreicht, der in kindischer Angst vor den Türken zum deutschen Kaiser nach Wien geflohen war.
Ohne die königlichen Truppen war das Heer des Grafen ein bunt gewürfelter Haufen Männer geworden, ein Feldzug von Bauernsöhnen, Mönchen, Kriminellen und Söldnern. Die meisten hatten sich freiwillig dem Feldzug angeschlossen, und trotz ihrer Angst fieberten sie alle der Schlacht entgegen. Die Kirchenmänner, die den Tross begleiteten, predigten zu ihnen, als wären sie ein heiliges Heer von Kreuzfahrern, und so nannten sie sich auch. Ihre Gespräche drehten sich ausschließlich um die grausamen Türken und die Seltsamkeiten des Islams. Gábors feine Ohren hatten ihm viele ihrer Diskussionen zugetragen. Ihr Aberglaube und Mangel an Wissen über all diese Themen verärgerten ihn manchmal. Doch es waren tapfere Männer, von denen viele im Kampf ihr Leben lassen würden, und ihre Phantastereien waren ihm lieber als die Arroganz, mit der die adligen Ritter ihre Gegner unterschätzten.
»Gábor.«
Mit einem Zug am Zügel brachte er das Pferd zum Stehen und wandte sich um. Er roch den Mann, bevor er ihn sah, und wunderte sich, dass er ihn nicht vorher bemerkt hatte. Er musste wirklich tief in Gedanken versunken gewesen sein. »Ich grüße dich, Pavel!«
Der so Angesprochene trat aus dem Schatten eines Ochsenkarrens. Graues Haar kräuselte sich über seinen Schultern und umrahmte ein kantiges Gesicht. Ein Schnurrbart verlieh seiner Miene etwas Strenges, wucherte über die Mundwinkel und verbarg wie ein Vorhang die schmalen Lippen. Pavel, Graf von Breunen, war ein Werwolf und einer der Ältesten des Wolfsbundes. Seit einigen Jahren stand er in den Diensten des böhmischen Regenten, und in seinem Auftrag war er hier, um Graf Hunyadi im Kampf um Belgrad zu unterstützen. Sein Rudel nannte ihn den Feldherrn, und Gábor wusste nicht, wie viele Schlachten Pavel in seinem langen Leben schon geschlagen hatte. Viele von ihnen hatten Kriegsnarben auf seinem immer noch athletischen Körper hinterlassen, doch der alte Recke schien so zeitlos und unzerstörbar zu sein wie eine Klinge aus Damaszener Stahl.
»Du machst dich auf den Weg.« Pavels Stimme war kalt. Er war Gábor noch nie mit Freundlichkeit begegnet. »Wie viele Tage wirst du bis Belgrad brauchen?«
Es wunderte Gábor nicht, dass er bereits von seinem Auftrag wusste. Er war einer der Ältesten, fast alles war für ihn möglich.
»Vier«, erwiderte er. »Wenn das Wetter hält.«
Pavel streckte das zerfurchte Gesicht in den Wind, der von der Donau herüberwehte und seinen Umhang aufbauschte. Darunter trug der Werwolf ein Kettenhemd, das in zahllosen Kämpfen gerissen und danach mit neueren Ringen geflickt worden war. Am Saum und an den Schultern zeigte sich Rost. Wie den meisten ihrer Art war ihm Eitelkeit fremd.
»Das Wetter wird halten, solange sich der Wind nicht dreht«, brummte er. Er trat näher an Gábor heran und schien ihn mit seinem Blick durchbohren zu wollen. Seine Augen waren hell und glänzten wie die eines Habichts. Als er wieder sprach, war seine Stimme so leise, dass nur noch Gábors feine Ohren ihn verstehen konnten. »Ich habe zwei Nachrichten von Viktor für dich.«
»Von Viktor?« Gábor hatte seinen Lehrer schon seit Jahren nicht mehr gesehen, und Nachrichten schickte er inzwischen
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