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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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Kopf trug er eine hohe weiße Filzkappe, die ihn noch größer wirken ließ. Das Abzeichen auf seinem Mantel, vier gekreuzte Löffel, bedeutete, dass er nicht nur der Yayabaşı, sondern auch ein Kompanieführer, ein
Aschdschi Baschi
war, doch das erfuhr Gábor erst später. Er senkte den Blick. Das Gesicht des Mannes erschreckte ihn, denn es war hager und eingefallen wie das eines Bettelmönchs.
    Er ging die Reihe der jungen Gefangenen entlang, und manchmal hielt er inne, um sie zu mustern. Kaum einer der Knaben wagte es, dem Hageren in die Augen zu schauen. Auch vor Gábor blieb der Türke stehen. Der Mann, der Gábor aus der Hütte seiner Mutter entführt hatte, rief ihm ein paar Worte auf Türkisch zu. »Baba« war eines davon, und Gábor kannte es:
Vater.
Plötzlich packte der Anführer Gábor am Kinn und hob seinen Kopf, so dass ihre Blicke sich kreuzten. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, während der Mann ihn anstarrte. Seine dunklen Augen waren klein und hart, und das Weiß war von roten Äderchen durchzogen. Etwas Schändliches lauerte in diesem Blick und bohrte sich in Gábors Kopf wie glühende Pfeilspitzen. Dann blinzelte der Mann und runzelte gleichzeitig die Stirn.
    »Evet«,
murmelte er.
»Tıpkı ona benziyor.«
Abrupt ließ er Gábor los und wandte sich ab. Der Junge sank in sich zusammen. Er verstand nicht, was vor sich ging, fürchtete aber, etwas falsch gemacht zu haben. Warum hatte der Mann bei ihm so lange verweilt?
    Der Yayabaşı rief seinen Männern Befehle auf Türkisch zu, dann deutete er mit seinen knochigen Fingern auf einige der Knaben. Zu seiner Bestürzung war auch Gábor unter ihnen.
    Hart packten die Männer zu und zerrten sie auf die andere Seite des Platzes. Acht Jungen waren sie, von denen keiner es wagte, sich zu wehren. Gábor sah, dass die anderen, die nicht ausgewählt worden waren, weggebracht wurden, und sein Herz sank, denn die drei Spielkameraden aus seinem Dorf waren darunter. Tränen schossen ihm in die Augen. Jetzt hatte er niemanden mehr, den er kannte.
    »Hört her!« Der Hagere stand vor ihnen wie eine stolze Säule, und zu Gábors Erstaunen sprach er in einem klaren Ungarisch. Eilig schluckte der Junge die Tränen hinunter. Vor dem unheimlichen Türken wollte er nicht weinen.
    »Heute ist ein guter Tag für euch. Allah hat euch ausgewählt, um dem türkischen Heer zu dienen«, sprach der Mann. Seine Augen streiften prüfend über die Knaben, die unter seinem Blick erzitterten. Wieder verharrte seine Aufmerksamkeit einen Augenblick länger bei Gábor als bei den anderen. »Ich kann jedoch nur die Besten brauchen«, rief er. »Kämpft gegeneinander, und die vier, die am Ende noch stehen, werden von mir neue Kleidung und Essen erhalten.«
    Gábors Herz pochte wie nach einem raschen Lauf. Er konnte kaum verstehen, was der Türke meinte. Gegeneinander kämpfen? Sein Blick streifte die anderen Jungen, die ebenso verwirrt dreinsahen.
    »Wir müssen tun, was er sagt«, murmelte plötzlich der Junge neben ihm. »Mein Bauch krampft sich bei dem Gedanken an Essen so zusammen, dass es weh tut.«
    Gábor musterte ihn überrascht. Arpad hieß er, das wusste er schon, und er war zwei Jahre älter als Gábor.
    »Nimm es nicht persönlich«, flüsterte Arpad, dann schlug er Gábor eine Faust in die Rippen. Keuchend wich Gábor zurück. Die Türken begannen zu grölen und mit ihren Waffen zu rasseln, ein Lärm, der Gábor noch mehr erschreckte. Er tastete seine Rippen ab. Arpads Schlag tat zwar weh, war aber nicht allzu fest gewesen. Sein Angriff hatte allerdings die Hemmungen der anderen Jungen gebrochen, und sie prügelten nun aufeinander ein. Gábor wich noch einen Schritt zurück und war immer noch so überrumpelt, dass er einen weiteren Angriff von Arpad fast zu spät kommen sah. Gerade noch konnte er ausweichen, und Wut begann in ihm zu brodeln, als er Arpads Grinsen sah. Doch der Junge wandte sich von ihm ab, um einen anderen zu schubsen, der jammernd auf den Rücken fiel.
    »Bist du ein Feigling?«
    Der Sprecher gab Gábor einen Stoß in den Rücken, der ihn zurück in die Horde der kämpfenden Jungen stolpern ließ. Aus den Augenwinkeln sah er, dass es der Yayabaşı selbst gewesen war, dessen eingefallene Wangen nun vor Erregung in einem tiefen Rot leuchteten.
Er hat Freude daran,
dachte Gábor erschrocken. Dann war er vollauf damit beschäftigt, zwei Angriffen gleichzeitig auszuweichen, und dachte an gar nichts mehr. Er war zwar klein für sein Alter, aber wendig, und

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