Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
Vom Netzwerk:
nur noch spärlich. Überrascht starrte er Pavel an. »Ihr habt euch getroffen?«
    »Keiner von uns hat ihn in den letzten drei Jahren gesehen«, wiegelte Pavel ab. »Aber er wäre nicht Viktor, wenn er nicht trotzdem Augen und Ohren sowohl hier als auch bei den Türken hätte. Du kennst seine Boten.« Er strich sich missbilligend über den Schnurrbart. »Launenhaft und lügnerisch sind sie, die Zigeuner, doch sie tun, was er sagt.«
    »Was lässt er mir ausrichten?«
    »Er ist zufrieden mit dem Mädchen, er sagt, sie sei die Richtige. Glaubst du das auch?« Pavels Miene war ohne Regung, doch Gábor spürte seine Aufmerksamkeit. Pavel war ein Mann mit stählernen Prinzipien von Wahrheit und Ehre, und Gábor hatte noch nie erlebt, dass jemand ihn täuschen konnte.
    »Ja«, antwortete er einfach. »Sie ist es.«
    »Alle Zweifel daran müssen wir ausschließen«, fuhr Pavel fort. »Deshalb muss einer von uns Ältesten sie prüfen. Viktor hat diese Aufgabe mir überlassen.«
    Gábor zögerte. Er hatte gewusst, dass einer der Ältesten Veronika für eine Befragung aufsuchen würde. Die Prophezeiung selbst gab einen Hinweis, wie sie herausfinden konnten, ob sie die Richtige war.
Die Jungfrau wird von zweigestaltigem Wesen sein, mit einem Willen, der selbst den Ältesten widersteht.
Doch etwas in ihm sperrte sich dagegen. »Ich weiß nicht, ob sie schon so weit ist.«
    »Du weißt es nicht?«, fragte Pavel spöttisch, und Gábor bereute seine Worte. »Als ihr Lehrer solltest du sie am besten einschätzen können.«
    »So ist es«, antwortete Gábor knapp. »Wenn wir die Türken aus Belgrad vertrieben haben, werde ich euch einander vorstellen.«
    »Gut.« Der Älteste nickte grimmig. »Vertrauen wir auf Gott und unser Wolfsblut, dass wir die Osmanen in die Hölle zurückwerfen, aus der sie gekommen sind.«
    In der Nähe schrie eine Eule, die sich auf dem Rückzug vor dem rasch heraneilenden Morgen befand. Die ersten Menschen im Lager begannen sich zu regen.
    »Wie lautet Viktors zweite Nachricht?«, fragte Gábor und umgriff den Zügel seiner Stute fester. Sein Auftrag drängte ihn. Wenn Hunyadis Botschaft nicht rechtzeitig in Belgrad ankam, würde Veronika vielleicht nicht mehr lange genug leben, um Pavel kennenzulernen.
    »Die Kinder der Yayabaşı wissen auch heute noch zu täuschen«, sagte Pavel.
    Gábors Hand zuckte, er riss am Zügel, so dass die Stute schnaubend den Kopf zurückwarf. Die
Yayabaşı.
Er hatte gehofft, niemals mehr von ihnen hören zu müssen. Sie waren die Janitscharenoffiziere, die das abscheulichste aller Gesetze des türkischen Militärs ausführten: den
Devşirme,
den Knabenzins.
    »Und weiter?«, fragte er heiser.
    »Halte deine Augen in Belgrad offen. Es kann sein, dass du auf alte Bekannte aus deiner Janitscharenzeit triffst. Sorg dafür, dass sie unschädlich gemacht werden.« Pavels Stimme war nur ein kühles Wispern, doch seine Worte flogen wie Speere in Gábors Verstand. »Und lass Michael die Wachen an den Toren verstärken.«
    »Das werde ich tun.« Gábor hörte sein eigenes Blut in den Adern rauschen, ein mächtiger Fluss, der seine Sinne schärfte wie ein Schleifstein eine Klinge. Er spürte die Wärme seiner Stute, die sich an seiner Seite unruhig bewegte, das Gewicht seines Schwertes an der Hüfte und den Wind, der vor ihm nach Süden zog. »Diese Schänder werden erhalten, was sie verdient haben«, flüsterte er und schwang sich mit einer einzigen Bewegung auf den Rücken seines Pferdes. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren.
    »Gott mit dir!« Pavel hob grüßend die Hand, eine graue Gestalt in der Dämmerung.
    Gábor hieb seiner Stute die Fersen in die Flanken, so dass sie in einen schwungvollen Trab verfiel. Rasch lenkte er sie zwischen den Lagerstätten hindurch, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob das Hufgetrappel die restlichen Schlafenden weckte. Bald hatte er das Lager hinter sich gelassen, aus dem ihm müde Männer verwundert hinterherblickten.
    Auf dem offenen Feldweg ließ er die Stute in einen leichten Galopp fallen. Links von ihm ging hinter einem Tannenhain die Sonne auf, doch ihren sanften bernsteinfarbenen Strahlenkranz sah er kaum. Wie schnell er auch ritt, den düsteren Bildern in seinem Inneren konnte er nicht entkommen. Statt der grünen Wiesen, aus denen der Morgennebel stieg, sah er ein ausgedörrtes, gelbes Land, das in der Sommerhitze flirrte …
     
    Johlend preschten die fremden Reiter durch Gábors Heimatdorf, trieben Schweine und Ziegen zusammen und

Weitere Kostenlose Bücher