Mondherz
trennten den Hühnern vom Pferd herab mit ihren Säbeln die Hälse durch. Wie festgewachsen vor Panik stand Gábor im Eingang der Hütte, während das Federvieh noch kopflos einige Meter weiterflatterte und die Reiter immer näher kamen.
»Rein mit dir!« Erst die Stimme seiner Mutter riss ihn aus der Erstarrung. Sie zerrte ihn in die Hütte, die sie gemeinsam bewohnten. »Versteck dich unter den Strohsäcken!« Sie schubste ihn zum Bettlager, und vor Angst wimmernd gehorchte er ihrem Befehl. Neun Jahre war er alt, und zwei Mal hatte er bisher einen Überfall der türkischen Besatzer erlebt. Beide Male hatten sie das Dorf geplündert und schreckerfüllt zurückgelassen. Auch seine Mutter hatten sie nicht geschont, und er hatte im Versteck verborgen mit anhören müssen, wie sie schrie, während sie ihr Gewalt antaten. Die anderen Dorfbewohner bemitleideten sie nicht einmal. Es war doch allen bekannt, dass sie schon einmal freiwillig mit einem Türken ins Bett gestiegen war. Mit Gábors Vater. Gábor hatte von seiner Mutter nie dessen Namen erfahren. Nachbarn hatten ihm erzählt, dass er ein Hauptmann sein musste, denn er hatte einen Trupp angeführt, der während eines Feldzugs durch ihr Dorf kam. Er hatte Gábors Mutter erblickt und sogleich begehrt. Zwei Tage später war sie aus freien Stücken mit ihm gegangen. Als er sie einige Monate später verstoßen hatte, war sie mit deutlich gewölbtem Bauch ins Dorf zurückgekehrt.
Heute, gut neun Jahre später, waren die heidnischen Besatzer nicht nur gekommen, um sich Frauen und Vieh zu nehmen. Gábor kauerte unter dem Strohsack, als die Tür aufgerissen wurde.
»Wo ist dein Sohn, Hure?«, rief ein Mann in gebrochenem Ungarisch, und Gábor rollte sich zu Tode erschrocken zu einer Kugel zusammen.
»Mein Sohn?« Die Stimme seiner Mutter kippte vor Entsetzen. »Ich habe keinen Sohn mehr, er ist tot!«
»Pah!« Der Mann stieß einen Schwall türkischer Flüche aus. »Wir kennen dich, und wir kennen den Vater. Wo ist der Junge?« Gábor hörte ein lautes Klatschen, dem ein Aufschrei seiner Mutter folgte. Er ballte eine Hand zur Faust und stopfte sie sich in den Mund, um nicht ebenfalls zu schreien. Schritte ertönten, Töpfe und Möbel wurden umgeworfen. Wenige Augenblicke später hatten sie ihn gefunden.
»Gábor«, schrie seine Mutter, während sie ihn nach draußen zerrten. Ein Mann hielt sie fest, und rot leuchtete das Mal eines Handabdrucks auf ihrer Wange. »Gábor, mein Kind, vergiss nie, wer du bist!«
Es war das letzte Mal, dass er sie sah. Die Türken fesselten ihn und drei seiner Spielkameraden mit langen Leinen an ihre Sättel, ohne auf ihr Weinen und Flehen zu achten. Laut lachend ließen sie ihre Pferde in Trab fallen. Den Jungen blieb nichts anderes übrig, als hinterherzulaufen, wenn sie nicht durch den Staub gezerrt werden wollten. Zwei Tage wurden sie bei sengender Sommerhitze durch das Land getrieben. Weitere Reiter mit Gefangenen stießen zu ihnen, und schließlich waren es fast zwei Dutzend verängstigter, magerer Knaben. Gábor vermisste seine Mutter, und immer noch klingelten ihm die Worte des Türken in den Ohren.
Wir kennen den Vater.
Er traute sich nicht danach zu fragen. Weder er noch die anderen Jungen verstanden die türkische Sprache, in der tagsüber Befehle gebellt und nachts seltsame Lieder gesungen wurden, die Gábor an das Jammern hungriger Katzen erinnerten. So erfuhr er erst am dritten Tag, warum er entführt worden war, denn an diesem Tag wurden sie in ein Lager gebracht.
Eingeschüchtert betrachtete Gábor die bunten Zelte des türkischen Trupps. Es waren sicher hundert Krieger, die hier lagerten, muskulöse Männer mit Pluderhosen und schwarzen Schnurrbärten, die ihnen bis übers Kinn herabhingen. Über den Zelten wehte das osmanische Wappen, ein weißer Halbmond auf rotem Grund.
Die Knaben wurden durch das Lager gestoßen, und die Männer johlten bei ihrem Anblick. Nirgends sah Gábor ein freundliches Gesicht, und die Angst in ihm pochte wie eine offene Wunde. Seine Kehle brannte vor Durst, und die verdorrten Strohhalme des Ackers pieksten schmerzhaft in seine aufgerissenen Fußsohlen.
Sie wurden geheißen, sich in einer Reihe aufzustellen. Ein Mann trat aus dem Schatten des Gutshofs, und das Gegröle der Krieger verstummte endlich. »Yayabaşı«, raunten die Männer, und ehrerbietig machten sie ihm Platz. Groß war er, und von so dürrer Gestalt, dass der rote Seidenmantel wie ein Sack um seine Glieder schlotterte. Auf dem
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