Mondherz
einem Sprung war er neben ihr.
»Wir müssen weg von der Mauer, zurück zur Hauptfestung«, rief er. Veronika nickte nur, raffte ihren Rock mit beiden Händen und lief zur Tür. Er folgte ihr auf dem Fuß.
Draußen legte sie den Ärmel ihres Gewands über Mund und Nase, um den Staub nicht einzuatmen. Für einen Moment wusste sie nicht wohin. Schemen bewegten sich durch den Staubnebel, der die Welt seltsam entrückte. Selbst die Geräusche klangen gedämpft. Miklos packte sie an der Hand und durchbrach damit den Bann. Eilig zerrte er sie hinter sich her.
»In den Frauenstuben bist du sicher«, keuchte er. »Jeder, der dort eindringen will, muss an uns allen vorbei.«
Und was würde er tun? Veronika kannte die Antwort darauf. Sobald er sie fortgebracht hatte, würde er zurückkehren und sein Kettenhemd anlegen, um sich in den Kampf zu stürzen.
»Ich komme allein zurecht«, sagte sie. Und wenn nicht sie, dann ihre Wölfin. Sie knurrte, als sie Feuer roch und den scharfen Dampf des Schwarzpulvers. Doch Miklos zerrte sie weiter.
Sie wichen Kriegsknechten aus, die an ihnen vorbei Richtung Mauer rannten. Ein Stück entfernt schrie ein Hauptmann Kommandos. Waffen klirrten. Miklos hastete mit Veronika an einem der niedrigen Küchengebäude entlang, die vor dem Hauptgebäude kauerten. Es donnerte erneut, und dem dumpfen Ton folgte ein Summen, wie eine Biene, die rasch näher kam. In vollem Lauf drehte Veronika den Kopf. Sie kniff die Augen zusammen. Eine Kugel überquerte in einem hohen Bogen die Mauer und raste durch die Staubwolken auf sie zu.
Nur dank der Instinkte ihrer Wölfin war sie schnell genug. Sie umkrallte Miklos’ Arm und riss ihn mit sich zur Seite. Schon war die Kugel heran. Sie schlug mit einem ohrenbetäubenden Krach direkt neben ihnen in die Mauer des Küchengebäudes ein. Faustgroße Steine prasselten durch die Luft. Veronika zog schützend den Kopf zwischen die Arme. Splitter trafen Schultern und Rücken, bohrten sich durch ihr Kleid und jagten Wellen des Schmerzes durch ihren Körper. Sie schrie, doch sie hörte ihre eigene Stimme kaum. Gemahlener Stein drang in ihre Lunge und ließ sie hustend nach Luft schnappen. Sie legte sich eine Hand auf den Mund und zwang sich, langsamer zu atmen. In ihren Ohren pfiff noch der Nachhall der Explosion. Vorsichtig richtete sie sich auf. Die Staubwolke raubte ihr jede Sicht.
»Miklos«, krächzte sie. »Miklos?«
Jemand stöhnte leise. Es roch nach Blut. Sie tastete in den Nebel hinein, über Gesteinsbrocken und Holztrümmer hinweg. Panisch begann sie, den Schutt beiseitezuschieben.
»Hilfe«, schrie sie. »Hierher! Hilfe!«
Endlich fanden ihre Hände etwas Weiches, Warmes, einen menschlichen Körper. Jemand schob sie weg. Männer schälten sich aus dem Dunst. Sie packten die Mauersteine des Küchengebäudes, die Miklos unter sich begraben hatten, und wuchteten sie beiseite. Miklos lag verkrümmt zwischen den Trümmern. Er war weiß wie ein Geist, selbst die Narben schienen verblasst zu sein. Veronika hörte sein Herz schlagen, leise und unregelmäßig, roch das Blut, das in viel zu großer Menge aus der Wunde an seinem Kopf rann.
»Er braucht Hilfe!« Sie versuchte an dem Kriegsknecht, der vor ihr stand, vorbeizukommen.
»Ihr müsst zuerst außer Schussweite«, sagte der Mann und packte Miklos unter den Armen. Zusammen mit einem anderen hob er den Bewusstlosen über die Trümmer. »Schnell!«
Die beiden Männer schleppten Miklos durch den Nebel, zwischen den Kriegsknechten hindurch, die ihnen weiterhin entgegenströmten. Veronika folgte ihnen auf dem Fuß, drängte durch den Wald von Lanzen und Schilden. Miklos regte sich nicht, als ihn die Männer nahe eines Wehrturms auf den Boden legten. An seinen Schläfen glitzerte Blut wie ein dunkler Rubin. Sie ging auf die Knie und wischte mit ihrem Ärmel über sein Gesicht.
»Er muss ins Hospital in die Unterstadt«, sagte einer der Männer hinter ihr. Er klang zögerlich. »Wir werden aber auf den Mauern gebraucht.«
Veronika richtete sich auf. Das Hospital der Festung war gestern schwer vom feindlichen Beschuss getroffen worden. Eilig waren die überlebenden Verletzten in die Unterstadt transportiert worden, ins Benediktinerkloster, wo sich nun die Mönche um sie kümmerten. Sie ballte die Fäuste. Es gab keine andere Möglichkeit, als Miklos ebenfalls dorthin zu bringen.
»Wer seid Ihr?«, fragte der Kriegsknecht. Erst jetzt sah er sie genauer an, ihr seidenes Kleid, das unter all dem Staub fast
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