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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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Mehrzahl seiner Kanonen ließ er vor dem südöstlichen Teil des Mauerrings positionieren, um den Beschuss dort zu konzentrieren. Dort sollten seine Janitscharen endlich in die Stadt eindringen.
    »Miklos, komm!«, rief Gábor und schob sich zwischen den Soldaten hindurch auf das enge Tor zu, das von der Festung in die Unterstadt hinab führte. Es wurde Zeit, dass sie ihrem eigenen Auftrag nachkamen.
    In den Gassen wimmelte es von den Männern, die in den letzten Nächten heimlich mit den Booten vom Heerlager übergesetzt worden waren. Das fahle Licht der Dämmerung ließ ihre Gesichter grau erscheinen. Gábor musterte sie alle aufmerksam. Er hatte Arpad nicht vergessen. Der Spion war seit seiner Flucht verschwunden, doch er musste noch in der Stadt weilen. Gab es ein besseres Versteck als ein Heer von Söldnern und Bauern, unter die er sich unbemerkt mischen konnte? Sobald Graf Hunyadi einen Ausfall seiner Truppen befahl, würde Arpad versuchen, bei ihnen zu sein. Gábor hatte die Kommandeure angewiesen, jeden Rothaarigen in ihrem Trupp zu einer Prüfung in die Festung zu schicken, bisher allerdings ohne Erfolg.
    In den letzten zwei Nächten hatte Gábor von seiner Kindheit geträumt. Von dem Dorf, in dem er aufgewachsen war, den Nachbarn, die seiner Mutter nur abfällig begegnet waren. Schon damals war er ein Außenseiter gewesen. Der Bastard eines Türken. In beiden Nächten war er vom Schrei seiner Mutter aufgewacht.
Vergiss nie, wer du bist.
Er würde es nicht vergessen. Doch die anderen auch nicht.
    Zwischen Michael, Pavel und ihm herrschte immer noch gereizte Stimmung. Trotz ihres gemeinsamen Wolfsbluts schienen sie ihm aufgrund seiner Herkunft nicht gänzlich zu trauen. Sie begriffen nicht, dass er die Türken genau deshalb hasste. Für sie war der Kampf nur ein Geschäft, gleichgültig ob er gegen Türken, Serben oder Hussiten ging. Dazu kam die Lust an der Gewalt, die jeder Werwolf in sich trug. Auch Gábor spürte sie, wenn er kämpfte. Mit eiserner Disziplin rang er sie ein ums andere Mal nieder, um sich ein menschliches Herz zu bewahren. Die meisten anderen Werwölfe hatten jedoch weniger Skrupel, ihren Trieben Befriedigung zu verschaffen.
    Pferdegetrappel unterbrach seine Gedanken. Hinter ihnen kamen im raschen Trab fünf Reiter die Straße herunter. Einer von ihnen war Laszlo Hunyadi, Graf Hunyadis ältester Sohn, der einen Plattenharnisch und einen Helm mit grün-rot-weißem Federputz trug, den alten Wappenfarben Ungarns. Auch sein Pferd war prachtvoll gepanzert. Gewiss war er auf dem Weg zu seinem Vater, an dessen Seite er die Schlacht bestreiten wollte. Gábor grüßte Laszlo, und der nickte ihm zu. Die anderen Reiter musterten Gábor misstrauisch. Er ignorierte sie, genauso wie er die Gerüchte ignorierte, die sich seit Arpads Flucht wie eine Krankheit verbreiteten. Er hatte das Vertrauen der Hunyadis, und das genügte vorläufig.
    »Wir sind spät dran.« Miklos und er beschleunigten ihren Schritt. Kurz darauf hatten sie die engen Gassen des Handwerkerviertels erreicht.
    Schon bliesen außerhalb der Mauern die Hörner der türkischen Kanoniere zum Angriff. Die Kanonen dröhnten wie Donnerschläge, wieder und wieder. Mehrere Truppen strebten in die gleiche Richtung wie die beiden Werwölfe, angetrieben von ihren Kommandeuren, die vom Rücken ihrer Pferde aus Befehle brüllten. Zwei Häuser, an denen sie vorüberkamen, waren von einem Brandgeschoss getroffen worden und brannten lichterloh. Männer und Frauen waren fieberhaft mit dem Löschen beschäftigt, um zu verhindern, dass das Feuer auf andere Häuser übergriff.
    »Eine Bresche!«, der Schrei kam von den Mauern und pflanzte sich durch die Stadt hindurch fort. »Die türkischen Kanonen haben eine Bresche in die Mauer geschlagen.«
    Gábor ballte die Fäuste. Sie hatten befürchtet, dass die Mauern einem solch gezielten Beschuss nicht standhalten würden. Immerhin war Graf Hunyadi darauf vorbereitet.
    Sie erreichten den Marktplatz inmitten des Handwerkerviertels. Die Stände, an denen Handwerker sonst ihre Waren feilboten, waren fortgeräumt. Stattdessen wartete Pavel auf sie. Neben ihm standen acht weitere Werwölfe und ein ausgewählter Kampftrupp aus rund vierzig Söldnern, die ihn aus Böhmen hierher begleitet hatten. Plattenharnische aus poliertem Stahl gaben ihnen ein wuchtiges Aussehen. Streitkolben, Lanzen und Langschwerter glänzten kampfbereit im letzten Licht der Dämmerung. Pavel wirkte daneben in seinem geflickten Kettenhemd schmal

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