Mondlaub
dass er ihr Leid tat. Doch sie hatte eben ein Leben beendet, ohne die geringsten Skrupel oder Schwierigkeiten, und sie war noch nicht einmal sicher, ob die Gefühle dabei ihre eigenen gewesen waren.
»Wer kann sie nur so zugerichtet haben?«, fragte Doña Maria einmal mehr. »Schwertwunden«, erwiderte der Barbier fachmännisch. »Außer diesem merkwürdigen Punkt am linken Handgelenk.«
Einen Tag später hatte Layla mehr oder weniger erfasst, was geschehen war. Jusuf war ein Ifrit - oder so etwas Ähnliches -, und Ifrits konnten nicht verletzt werden. Er hatte also ihre »Lebenskraft« genommen und all die Begleiterscheinungen eines Kampfes - die Erschöpfung, die Gliederschmerzen, die Verwundungen - auf sie übertragen.
Sie lag verbunden auf ihrem Bett und hörte sich die Strafpredigt ihres Großvaters an, der sich zum ersten Mal hierher bemüht hatte.
»Ich gebe dir Obdach, lasse dir eine christliche Erziehung angedeihen, und was tust du? Sowie wir bei Hof eingeladen sind, lässt du dich verstümmeln! Glaubst du, ich kann eine de Solis in Verbänden der Königin vorstellen? Ich gebe dir noch drei Tage, um dich zu erholen, Lucia, und dann sind wir auf dem Weg nach Cordoba, ganz gleich, wie es dir geht.«
»Euer armer Großvater«, meinte Doña Maria, als er wieder fort war. »Habt Ihr bemerkt, welche Sorgen er sich um Euch macht?«
Layla rümpfte nur verächtlich die Nase und drehte sich zur Wand.
Was ihr vom Tode Ali al Atars blieb, war nicht der Triumph, den sie erwartet hatte, sondern nur ein merkwürdig schales Gefühl der Befriedigung und ein geheimes Grauen vor sich selbst.
Bevor sie abreisten, erzählte sie ihrer Mutter, dass Tariqs Mörder tot war. Isabel reagierte nicht. Als Layla nach einer Weile aufstehen wollte, griff die Mutter nach ihrer Hand und presste sie fast schmerzhaft. Dann ließ sie wieder los und verfiel in ihre alte Starre.
Die große Neuigkeit, welche die Reisenden auf dem Weg nach Cordoba erreichte, war weniger der Tod Ali al Atars als vielmehr die Gefangennahme des jungen Emirs, Abu Abdallah Muhammad. Auch er, so wurde berichtet, befand sich auf dem Weg zum Hof. Da sie von Sevilla aus einige Teile der Strecke mit dem Schiff auf dem Guadalquivir, der gerade Hochwasser führte, zurücklegen konnten, kamen sie Tage vor ihm an.
Cordoba war einmal der Sitz der Kalifen von al Andalus gewesen. Damals waren von überall her Studenten und Gelehrte nach Cordoba gereist, um die riesige Bibliothek zu benutzen, um zu studieren und die besten Ärzte, Dichter und Musiker der islamischen Welt kennen zu lernen. Layla konnte noch die Stimme von Ibn Faisal hören: »ilm und adab, Wissen und Erziehung, trugen einmal nur einen einzigen Namen: Cordoba.«
In Granada befand sich noch ein Teil der Bibliothek von Cordoba, der Teil, den die Banu Nasr hatten erwerben und retten können. Der Rest war entweder über die ganze Welt verstreut oder vernichtet. Aus irgendeinem Grund fiel Layla beim Anblick der Stadt auch ein, dass Jusufs Vater, der berühmte Samuel ha Levi, Ismail Ibn Nagralla, ursprünglich aus Cordoba stammte.
Da Isabella und Fernando Könige zweier unabhängiger Staaten waren, hatten sie keine gemeinsame Hauptstadt, sondern wechselten ihren Regierungssitz ständig. Cordoba war groß genug, um den Hofstaat von Kastilien und Aragon aufzunehmen, und es gab genügend Unterkunftsmöglichkeiten für die Gäste. Don Sancho Ximenes de Solis, der zu den Granden gehörte, wurde direkt in der Zitadelle untergebracht, nicht in einem der Klöster wie die niederen Adligen. So hatte Layla noch an ihrem Ankunftsabend die Gelegenheit, die christlichen Könige beim allgemeinen Mahl zu sehen. Sie hätte es niemandem verraten, aber sie war neugierig, insbesondere auf die legendäre Isabella von Kastilien.
Isabella hatte gerade erst ihren Zweiunddreißigsten Geburtstag hinter sich. Als sie siebzehn war, hatte sie begonnen, um die Macht zu kämpfen, erst mit ihrem Bruder, dann mit seinen Edlen und ihrer Nichte, dann mit dem König von Portugal. Ihre Unabhängigkeitserklärung war die Heirat mit dem Thronfolger von Aragon gewesen, obwohl sie beide so arm waren, dass sie bei einem jüdischen Juristen das Geld für die Hochzeitskosten borgen mussten.
Jetzt war sie die unbestrittene Herrscherin Kastiliens und die Seele des Kreuzzugs gegen die letzten Moslems in den spanischen Landen, zu dem der Papst aufgerufen hatte. Fernando, ihr Gemahl, hielt die Eroberung von Granada um der Macht willen für notwendig, aber
Weitere Kostenlose Bücher