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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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für Isabella war sie eine Herzensangelegenheit.

    Da sie noch nie einen blonden Menschen gesehen hatte, fiel Layla zunächst das Haar auf, das Isabella - Privileg der Königinnen, während andere verheiratete Frauen auf eine Haube angewiesen waren - an diesem Tag offen trug. Die lachsfarbene Fülle, welche die Königin ihrer entfernten Verwandtschaft mit den Plantagenets verdankte, war das Schönste an ihr, denn Layla dachte überrascht, dass die kleine, unscheinbare Gestalt ohne ihren erhöhten Sitz in der Menschenmenge, die sie umgab, völlig untergegangen wäre. Das Mädchen war etwas enttäuscht; sie hatte jemanden wie Alscha oder ihre Mutter erwartet. Doch als sie sich im Gefolge ihres Großvaters dem Thron näherte, spürte sie die Würde, die von Isabella ausging. Die Art, in der die Königin ihre Granden begrüßte, ließ Layla voll Erstaunen erkennen, dass Isabella über die Fähigkeiten verfügte, jedem einzelnen Gast das Gefühl zu geben, als habe sie nur auf ihn gewartet. Vielleicht war hier die Erklärung dafür zu suchen, wie sie es geschafft hatte, ihre in endlose Privatfehden verstrickten Edelleute so weit zu einigen, dass man sie und ihren Krieg allgemein unterstützte.
    »Don Sancho«, rief sie, als der alte Mann vor ihr kniete, und streckte ihm ihre Hand entgegen, die er küsste. »Wie lange ist es her, dass wir Euch bei uns begrüßen konnten! Und doch haben wir Euch nicht halb so sehr vermisst wie unsere Armee einen ihrer tapfersten Ritter.«
    Der Angesprochene errötete ein wenig vor Freude und strahlte.
    »Ich bin ein alter Mann, leider, Euer Hoheit«, sagte er. Isabella schüttelte lächelnd den Kopf. »Wenn wir, der König und ich, in Eurem Alter noch so viel Kraft und Geist haben, dann hat der Herr uns wahrhaft gesegnet.«
    Don Sancho hätte, mutmaßte Layla, wahrscheinlich gerne noch mehr Schmeicheleien von der Königin gehört, doch er besann sich auf den Zweck seines Besuches. »Euer Hoheit«, sagte er zögernd, »gestattet mir, Euch meine Enkelin vorzustellen, Lucia de Solis, und Euch zu bitten, sie unter Eure Hofdamen aufzunehmen.«
    Um Isabella herum verstummte das leise Geschwätz der Hidalgos und ihrer Damen. Sie wussten zweifellos alle, dass der alte Mann nur eine Tochter gehabt hatte und wer diese Tochter war, also, dachte das Mädchen, wussten sie auch über ihre Herkunft Bescheid. Noch nie hatte sich Layla so sehr einen Schleier gewünscht, doch das Gefühl der Peinlichkeit und Scham schlug schnell in Zorn um, der ihr Kraft gab. Wer waren sie schließ lich, diese Christen? Sie stammte von den Banu Nasr ab, die mit dem Propheten bei Medina gekämpft und neunzehn Generationen von Emiren gestellt hatten, wohingegen Herkunft und Thronanspruch des derzeitigen Herrscherpaares von Kastilien und Aragon sehr umstritten waren. Das Einzige, was sie bedauern musste, war, dass sie als Lucia de Solis eingeführt wurde, nicht als die Sejidah Layla.
    Also vollführte sie den vorgeschriebenen Knicks, dann richtete sie sich wieder auf und sah der Königin direkt in die Augen.
    Erst aus dieser Nähe wurde ihr die Hellhäutigkeit Isabellas bewusst; Layla hatte noch nie einen Menschen gesehen, dessen Gesicht so ausgesprochen bleich wirkte. Vielleicht lag es an dem blonden Haar oder den Brauen, die sich jetzt hoben; statt sich wie ein dunkler Pinselstrich über Isabellas Augen zu wölben, waren die feinen rötlichen Linien kaum zu erkennen.
    »Aber Eure Enkelin ist noch ziemlich jung, Don Sancho. Wie alt seid Ihr, mein Kind?«
    Bevor Layla antworten konnte, warf der alte Mann hastig ein:
    »Zwölf, bald dreizehn« - das war gelogen, aber das Mädchen bezweifelte, ob er das überhaupt wusste -, »nicht jünger als die königlichen Pagen, Euer Hoheit.«
    Layla entdeckte kleine Schweißperlen auf seiner Stirn. Nach christlichen Maßstäben war sie unehelich, und er fragte sich jetzt wahrscheinlich, ob das Blut der de Solis edel genug war, um dennoch anerkannt zu werden.
    »Nun«, sagte Isabella langsam, »wenn Ihr meint, dass sie alt genug ist, habe ich nichts dagegen.« Wie einen verspäteten Nachgedanken setzte sie hinzu: »Was meinst du, Lieber?«
    Fernando von Aragon, den der Klatsch entweder einen großen Bewunderer weiblicher Schönheit oder weniger höflich einen Schürzenjäger nannte, hatte nach einem enttäuschten Blick auf Layla das Interesse für die ganze Angelegenheit verloren und sich im Geiste bereits anderen Dingen zugewandt.
    »Was immer du willst, Isabella«, sagte er jetzt zerstreut.

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