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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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die Schuldigen zu bestrafen.«
    »Ali al Atar war mein Schwiegervater«, begann er, »und er handelte auf Befehl meiner Mutter…«
    »Ich habe meine Mutter verraten«, unterbrach das Mädchen ihn,
    »um dir das Leben zu retten.«
    Das brachte ihn zum Schweigen. Er hatte zumindest den Anstand, den Kopf zu senken. Langsam näherte Layla sich ihm.
    Als sie noch etwa drei Schritte entfernt war, schaute er wieder auf. Sie bemerkte, dass er in den letzten Monaten gealtert war.
    Er hatte etwas von dem Glanz des Märchenhelden, der das Volk von Granada - und sie selbst - einmal so bezaubert hatte, verloren, aber nicht alles.
    »Warum bist du gekommen?«, wiederholte er, diesmal nicht herausfordernd, sondern müde.
    »Fragen«, erwiderte Layla. »Fragen, die ich dir schon lange stellen wollte, mein Bruder. Warum hast du Tariq und mich zurückgewiesen, als wir noch so jung und vertrauensvoll waren, dass wir dir kaum gefährlich werden konnten? Warum hast du Tariq dazu gebracht, auf deinem Pferd zu reiten? Wolltest du ihn unbedingt tot sehen?«
    »Es war ein Unfall«, sagte er heftig, mit einer wütenden Aufrichtigkeit, die sie einen Moment lang irritierte, bevor sie sich wieder fing.

    »Du lügst«, erklärte sie. »Du und deine Mutter, ihr habt meine Mutter von Anfang an gehasst und hättet alles getan, um sie zu Fall zu bringen…«
    »Nein.«
    Dass er nur dieses eine Wort sagte, ließ Layla verstummen. Sie biss sich auf die Lippen.
    »Nein«, sagte Muhammad noch einmal, »ich habe deine Mutter nicht von Anfang an gehasst. Meine Mutter tat es, und mit Grund, aber ich nicht. Ich begriff durchaus, warum mein Vater sich in Zoraya verliebt hatte. Was hätte er anderes tun können?
    Ich liebte sie selbst von dem Augenblick an, als ich sie zum ersten Mal sah.«
    Layla wich zurück. Der Boden schien sich unter ihren Füßen aufzutun. »Das ist nicht wahr!«
    Er griff nach ihren Händen und hielt sie fest, aber als er sprach, schaute er über sie hinweg. »Wir sind beide etwa im gleichen Alter, weißt du. Als sie in die Alhambra kam, wurde sie nicht sofort die Konkubine meines Vaters, er ließ sie sich noch nicht einmal vorführen. Er hatte nur ihr Alter erfahren und hielt sie noch für zu jung. Die anderen Frauen mochten sie nicht, und sie ging oft allein in den Gärten spazieren, wo wir uns begegneten, immer wieder. Ich versprach ihr, sie zu heiraten; ich wollte zu meinem Vater gehen und ihn bitten, sie freizulassen.«
    Vergeblich versuchte Layla, sich loszumachen; sie wollte es nicht hören. Er hielt sie fest, fest genug, um ihr Schmerzen zuzufügen.
    »Als ich dann tatsächlich zu meinem Vater ging, war er zuerst entsetzt. Schließlich war sie nur eine christliche Sklavin. Dann ließ er sie holen. Und er sah sie an und bemerkte, dass sie nicht mehr zu jung war.«
    »Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr, es ist nicht wahr!«
    Muhammad ließ sie los. »Du hast mich gefragt«, sagte er.

    Sie wollte fortlaufen, doch sie hatte sich geschworen, nie wieder vor etwas davonzurennen. Also blieb sie. Muhammad schob ihr einen Schemel zu, und sie setzte sich, ohne es wirklich zu bemerken. Geistesabwesend rieb sie die Druckstellen an ihren Handgelenken und beobachtete ihren Bruder, der zu dem Fenster ging, das minarettförmig war wie die Fenster in Granada.
    »Weißt du, was ich sah, als ich hierher kam?«, fragte er mit gedämpfter Stimme, ohne eine Antwort zu erwarten. »Ich sah in Cordoba die Zukunft von Granada. Ich habe es schon lange geahnt, schon als ich aus Fez zurückkehrte. Damals mussten wir wegen eines Sturms in einem christlichen Hafen anlegen und einige Tage dort bleiben. Sie haben mehr und bessere Waffen, mehr Land und mehr Menschen. Jetzt, wo sich die Christen geeinigt haben, sind wir zum Untergang verurteilt.«
    »Weswegen«, fragte Layla, um überhaupt etwas zu sagen und ihre wiedergewonnene Fassung zu demonstrieren, »kämpfst du dann um den Thron? Und gegen die Christen? Warum gehst du nicht einfach ins Exil?«
    Er wandte sich ihr wieder zu. »Ich bin kein Feigling«, entgegnete er verbittert. »Ich werde das Schicksal meines Volkes teilen und versuchen, so viel wie möglich von unserer Welt zu retten.«
    Plötzlich konnte sie dieses Gerede von Untergang und Hoffnungslosigkeit nicht mehr aushalten. »Ich glaube, du hast Unrecht, Muhammad«, sagte Layla entschlossen. »Die Lage sieht doch so aus, dass du hier gefangen sitzt und Granada wieder vereint ist. Und die Christen sind nicht unbesiegbar. Al Zaghal und… Abul

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