Mondlicht steht dir gut
Mal schon wieder einen Totenschein für eine unsrer Damen abzeichnen mußt. Denk doch nur an all den Ärger in dem Heim, wo wir vorher waren.«
Er schob ihre Hände von seinem Gesicht weg und hielt sie fest. Er hätte Odile am liebsten erwürgt.
68
Als Maggie wieder am Haus angelangt war, blieb sie minutenlang auf der Veranda stehen, atmete tief ein und inhalierte den frischen, sauberen Salzgeruch des Ozeans. Es kam ihr so vor, als ob sie nach dem Museumsbesuch den Geruch des Todes in der Nase hatte.
Earl Bateman hatte Freude am Tod, dachte sie, und ein Schauer des Ekels lief ihr über den Rücken. Er hatte Freude daran, über den Tod zu reden, ihn sichtbar zu machen.
Liam hatte ihr erzählt, Earl hätte es regelrecht genossen, das Entsetzen der Gäste des Latham Manor zu schildern, als er sie dazu gebracht hatte, die Glocken zu halten. Sie konnte den Schrecken der alten Damen wahrhaftig verstehen, obwohl nach Earls Version des Vorfalls er sich so entsetzlich aufgeregt hatte, daß er die Glocken in das Lager im zweiten Stock weggepackt hatte.
Vielleicht war es ein bißchen von beidem, dachte sie. Er mochte Freude daran gehabt haben, die Leute zu erschrecken, war aber mit Sicherheit wütend geworden, als man ihn hinauswarf, dachte sie.
Es schien ihm so wichtig gewesen zu sein, ihr alles in diesem merkwürdigen Museum vorzuführen. Weshalb also hatte er nicht auch angeboten, ihr die Glocken zu zeigen? fragte sie sich. Das konnte doch bestimmt nicht nur an der schmerzlichen Erinnerung liegen, die mit dieser unangenehmen Szene im Latham Manor verbunden war.
Lag es also daran, daß er sie auf den Gräbern von Frauen aus dem Latham versteckt hatte – Frauen, die möglicherweise an dem Abend jenes Vortrags zum Publikum gehörten? Da fiel ihr plötzlich etwas anderes ein. War Nuala zu diesem Vortrag gegangen?
Maggie merkte, daß sie die Arme eng um den Körper geschlungen hielt und praktisch am ganzen Leib zitterte. Als sie sich umdrehte, um ins Haus zu gehen, nahm sie noch die Notiz, die sie für Chief Brower hinterlassen hatte, von der Tür ab. Kaum war sie eingetreten, sah sie als erstes das gerahmte Bild, das ihr Earl mitgebracht hatte.
Sie hob es hoch.
»Oh, Nuala«, sagte sie laut, »Finn-u-ala.« Sie betrachtete das Foto eine Weile aufmerksam. Man konnte es durchaus
beschneiden, so daß es nur noch Nuala zeigte, und dann konnte sie es vergrößern lassen.
Als sie mit der Büste von Nuala angefangen hatte, hatte sie sich die Bilder jüngsten Datums, die sie im ganzen Haus von ihr finden konnte, zusammengesucht. Aber keines davon war so neu wie dieses hier; es würde ihr eine wundervolle Hilfe während der letzten Arbeitsphasen an der Büste sein, fand sie.
Polizeichef Brower hatte gesagt, er werde noch am selben Nachmittag vorbeischauen, aber es war bereits kurz nach fünf. Sie beschloß, gleich an der Skulptur ein wenig weiterzuarbeiten. Doch auf dem Weg zum Atelier hinauf fiel Maggie wieder ein, daß Chief Brower auch gesagt hatte, er werde vor seinem Besuch noch anrufen. Im Atelier würde sie das Telefon nicht hören.
Ich weiß, dachte Maggie, als sie am Schlafzimmer vorbeikam, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, die übrigen Sachen von Nuala vom Schrankboden zu räumen. Ich bringe einfach das Bild ins Atelier und komme wieder zurück.
Im Atelier nahm sie das Foto aus dem Rahmen heraus und steckte es vorsichtig an das Schwarze Brett neben dem Arbeitstisch. Dann knipste sie die Lampe an und studierte das Bild genauer.
Der Fotograf muß die drei wohl angewiesen haben, zu lächeln, dachte sie. Lächeln ist Nuala nie schwergefallen. Ich habe an dem Foto allenfalls auszusetzen, daß es keine Nahaufnahme ist, die zeigen würde, was ich an dem Abend beim Essen in Nualas Augen gesehen habe.
Earl Bateman, der neben Nuala stand, sah unbehaglich aus, irgendwie verklemmt, und sein Lächeln wirkte gekünstelt. Aber dennoch, dachte sie, hatte er nichts an sich, was die beängstigende Besessenheit hätte vermuten lassen, die sie kurz zuvor an ihm bemerkt hatte.
Sie mußte daran denken, daß Liam einmal behauptet hatte, in der Familie gebe es eine Veranlagung zum Wahnsinn. Damals hatte sie diese Bemerkung als Witz aufgefaßt, doch mittlerweile war sie sich da nicht mehr so sicher.
Es gab wahrscheinlich gar kein schlechtes Foto von Liam, dachte sie, während sie die Aufnahme weiter studierte. Es existiert eine starke Familienähnlichkeit zwischen den beiden Vettern, vor allem was die Gesichtsform angeht. Doch was an
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