Mondlicht steht dir gut
klingelte. Sie lief rasch zum Apparat, wurde aber von einem entschiedenen Klick am anderen Ende der Leitung belohnt.
Wer auch immer dran war, hat mich vermutlich nicht gehört, dachte sie, aber es spielt keine Rolle. Es gab niemanden, mit dem sie jetzt gerade reden wollte.
Die Schranktür im Schlafzimmer stand offen, und das Licht vom Flur her fiel auf das blaue Kostüm, das Nuala zu der Familienfeier im Four Seasons getragen hatte. Es hing schräg auf einem Bügel da, als habe jemand es achtlos weggehängt.
Das Kostüm war teuer. Das Gefühl, es könnte Schaden nehmen, wenn man es so hängen ließ, veranlaßte Maggie, zum Schrank hinüberzugehen und es ordentlich aufzuhängen.
Während sie dabei war, den Stoff zurechtzuziehen, meinte sie ein leises Aufprallen zu hören, so als sei etwas auf den Boden gefallen. Sie blickte auf das Durcheinander von Stiefeln und Schuhen auf dem Schrankboden hinunter und beschloß, falls wirklich etwas hinuntergefallen war, dann müsse es eben warten.
Sie schloß die Schranktür und verließ das Zimmer, um ihr Bad zu nehmen. Die Einsamkeit, die sie an vielen Abenden in ihrer New Yorker Wohnung genoß, hatte hier in diesem Haus mit den schwachen Schlössern und dunklen Ecken nichts Anziehendes an sich, in diesem Haus, wo jemand einen Mord begangen hatte – womöglich jemand, den Nuala zu ihren Freunden gezählt hatte.
23
Earl Bateman hatte nicht vorgehabt, am Dienstag abend nach Newport zu fahren. Doch während seiner Vorbereitungen für eine Vorlesung, die er am kommenden Freitag halten würde, wurde ihm bewußt, daß er zur Illustrierung einige der Dias benötigte, die er in dem Museum auf dem Grundstück des Bateman Funeral Home verwahrte. Der Wohnsitz seines Ururgroßvaters, das schmale viktorianische Haus und der Morgen Land, auf dem es stand, waren zehn Jahre zuvor von dem Hauptgebäude und dazu gehörenden Grund und Boden abgetrennt worden.
Technisch gesehen war das Museum privat und der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Man konnte es nur nach schriftlicher Anfrage besuchen, und Earl führte die wenigen Besucher persönlich hindurch. Seine Reaktion auf den Spott, mit dem ihn seine Cousins überschütteten, sobald das Gespräch auf das »Death Valley« kam – »Tal des Todes« nannten sie sein kleines Museum –, war die scharfe und mit frostiger und bewußt humorloser Stimme vorgetragene Entgegnung, historisch gesehen mäßen die Menschen aller Kulturen und Bildungsschichten den Gebräuchen im Zusammenhang mit dem Tod größte Bedeutung bei.
Im Laufe der Jahre hatte er ein beachtliches Aufgebot an Gegenständen zusammengetragen, die alle etwas mit dem Tod zu tun hatten: Lichtbilder und Filme; Tonaufnahmen von Grabgesängen; griechische Epen; Gemälde und Grafik, wie zum Beispiel die Apotheose Lincolns, der im Himmel aufgenommen wird; maßstabsgetreue Modelle des Tadsch Mahal und der Pyramiden; Eingeborenenmausoleen aus messingbeschlagenem Hartholz; indische Scheiterhaufen; zeitgenössische Särge; authentische Nachbildungen von Trommeln; Tritonshörner, Schirme und Schwerter; Statuen von Rössern ohne Reiter mit umgekehrten Steigbügeln; außerdem Beispiele von Trauerkleidung quer durch die Zeitalter.
»Trauerkleidung« war das Thema des Vortrags, den er vor den Mitgliedern einer Lektüregruppe halten mußte, die gerade die Erörterung einer Reihe von Büchern über Todesrituale abgeschlossen hatte. Zu diesem Anlaß wollte er ihnen Lichtbilder der Gewänder im Museum zeigen.
Visuelles Material trägt immer dazu bei, eine Vorlesung anschaulich zu machen, sagte er sich, als er die Route 138 über die Newport Bridge fuhr. Bis zum vergangenen Jahr war das letzte Dia, das er bei einem Vortrag über Kleidung benutzte, ein Auszug aus Amy Vanderbilt’s Etiquette Guide von 1952 gewesen, in dem die Autorin behauptete, Lackschuhe seien bei einer Beerdigung unter keinen Umständen angebracht. Ergänzend zu dem Text hatte er Abbildungen von Lackschuhen, von flachen schwarz weißen Kinderschuhen bis zu hochhackigen Damenpumps und verzierten Slippern für Männer eingefügt, was dem Ganzen seiner Ansicht nach eine besondere Note verlieh.
Nun aber hatte er sich eine neue Wendung zum Abschluß der Vorlesung einfallen lassen. »Ich frage mich, was wohl zukünftige Generationen über uns sagen werden, wenn sie Abbildungen von Witwen in roten Miniröcken und von trauernden Anverwandten in Jeans und Lederjacken sehen. Werden sie vielleicht gesellschaftliches und kulturelles Brauchtum von
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