Mondlicht steht dir gut
zusätzliche Röcke und ein paar Blusen oder Pullis besorgen. Sie wußte, daß im Latham Manor Kleidung eher formeller Natur bevorzugt wurde, und außerdem hatte sie zugestimmt, am Freitag abend mit Liam essen zu gehen, und das bedeutete vermutlich, daß sie sich auch dafür in Schale werfen mußte. Wenn sie mit Liam in New York essen gegangen war, hatte er unweigerlich ziemlich kostspielige Restaurants ausgesucht.
Sie zog die Jalousie hoch, öffnete das Fenster, das nach vorne ging, und ließ die warme, sanfte Brise auf sich einwirken, die bestätigte, daß Newport nach der kühlen Feuchtigkeit des Vortages jetzt in den Genuß absolut idealen Frühherbst-Wetters kam. Heute bestand kein Bedarf für eine dicke Jacke, schloß sie. Auf ein weißes TShirt, Jeans, eine blaue Strickjacke und Sportschuhe fiel schließlich ihre Wahl.
Als sie fertig angezogen war, stand Maggie noch eine Weile vor dem Spiegel, der über der Kommode hing, und betrachtete sich. Ihre Augen zeigten keine Spuren der Tränen mehr, die sie um Nuala geweint hatte. Sie waren wieder klar. Blau. Saphirblau. Das war die Bezeichnung, wie Paul ihre Augen an dem Abend genannt hatte, als sie sich kennenlernten. Es schien ein ganzes Leben lang her zu sein. Sie war damals bei Kay Koehlers Hochzeit Brautjungfer, er war einer der Brautführer gewesen.
Das Probefestmahl fand damals im Chevy Chase Country Club in Maryland statt, in der Nähe von Washington. Er hatte neben ihr gesessen. Wir haben den ganzen Abend lang miteinander geredet, dachte Maggie bei der Erinnerung daran. Dann, nach der Hochzeitszeremonie, haben wir praktisch jeden Tanz miteinander getanzt. Als er den Arm um mich legte, hatte ich das Gefühl, als wäre ich plötzlich zu Hause angekommen.
Sie waren zu der Zeit beide erst dreiundzwanzig. Er besuchte die Air Force Academy, sie war gerade dabei, ihr Magisterstudium an der New York University zu beenden.
Alle sagten damals, was für ein hübsches Paar sie doch seien. Ein Musterfall von Gegensätzen, die sich anziehen. Paul war so hell, mit glattem blondem Haar und gletscherblauen Augen, von jenem nordischen Aussehen, das er von seiner finnischen Großmutter geerbt hatte, wie er sagte. Und ich die dunkelhaarige Keltin.
Fünf Jahre lang hatte sie nach seinem Tod ihre Haare so getragen, wie Paul es schön gefunden hatte. Vor einem Jahr hatte sie schließlich etwa acht Zentimeter abgeschnitten; jetzt reichte es ihr kaum noch bis zum Kragen, doch als Bonus betonte die kürzere Frisur den Schwung der Naturlocken. Zudem erforderte es wesentlich weniger Pflege, und für Maggie war das von entscheidender Bedeutung.
Paul hatte es auch an ihr geschätzt, daß sie lediglich Wimperntusche und einen fast natürlich wirkenden Lippenstift trug. Inzwischen besaß sie zumindest für festliche Gelegenheiten eine reicher sortierte Auswahl an Make-up-Artikeln.
Warum muß ich jetzt an all das denken? fragte sich Maggie, während sie Vorbereitungen traf, das Haus zu verlassen. Es war beinahe so, als erzählte sie dies alles Nuala, wurde ihr dann klar. Dies waren all die Dinge, die in den Jahren geschehen waren, seit sie einander zuletzt gesehen hatten, Dinge, über die sie mit ihr reden wollte. Nuala war schon jung zur Witwe geworden. Sie hätte sie verstanden.
Jetzt sprach sie ein abschließendes stilles Gebet, Nuala möge ihren Einfluß bei ihren Lieblingsheiligen geltend machen, damit Maggie begriff, weshalb sie sich genötigt sah, zu den Friedhöfen zu gehen, griff nach ihrem Frühstückstablett und trug es wieder nach unten in die Küche.
Drei Minuten später überprüfte sie nochmals den Inhalt ihrer Umhängetasche, verschloß die Haustür doppelt und holte ihre Nikon und die anderen Kamera-Utensilien aus dem Kofferraum des Wagens, bevor sie zu den Friedhöfen aufbrach.
26
Pünktlich um halb elf traf Mrs. Eleanor Robinson Chandler in der Latham Manor Residence ein, um sich, wie verabredet, mit Dr. William Lane zu treffen.
Lane empfing seinen vornehmen Gast mit dem Charme und der Höflichkeit, die ihn zum perfekten Direktor und diensthabenden Arzt des Latham Manor machten. Er kannte Mrs. Chandlers Familiengeschichte auswendig. Der Name war im gesamten Staat Rhode Island wohlbekannt. Mrs. Chandlers Großmutter war während der gesellschaftlichen Blütezeit Newports in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine der Grandes Dames der Stadt gewesen. Sie selbst würde das Latham Manor bereichern und höchstwahrscheinlich weitere zukünftige Gäste
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