Mondlicht steht dir gut
Augenschein genommen. Jetzt sah sie, daß Odile tatsächlich eine Schönheit war.
Dann gestand sie sich ein, daß auch Dr. Lane trotz seiner beginnenden Glatze und einer gewissen Leibesfülle attraktiv aussah. Sein Auftreten war ebenso entgegenkommend wie höflich. Als er vor ihr stand, nahm er Maggies Hand und führte sie an seine Lippen, um ganz im europäischen Stil innezuhalten, kurz bevor es zu einer Berührung kam.
»Was für ein großes Vergnügen«, sagte er mit einer Stimme, die Aufrichtigkeit verströmte. »Und darf ich sagen, daß Sie schon nach einem einzigen Tag wesentlich besser erholt aussehen. Sie sind offensichtlich eine sehr starke junge Frau.«
»Ach, Liebling, mußt du denn immer den Arzt rauskehren?« warf Odile Lane ein. »Maggie, es ist uns ein Vergnügen. Was halten Sie von dem allen hier?« Sie beschrieb mit ihrer Hand eine Geste, die augenscheinlich den ganzen Raum umfaßte.
»Ich denke, im Vergleich zu einigen der Pflegeheime, die ich fotografiert habe, ist es himmlisch.«
»Warum sind Sie denn auf die Idee gekommen, Pflegeheime zu fotografieren?« fragte Dr. Lane.
»Es war eine Auftragsarbeit für eine Zeitschrift.«
»Falls Sie je hier ein ›Shooting‹ machen wollen – das ist doch der Fachausdruck, oder nicht? –, dann läßt sich das ganz gewiß arrangieren«, bot er ihr an.
»Das werde ich bestimmt im Auge behalten«, erwiderte Maggie.
»Als wir erfahren haben, daß Sie kommen, hatten wir so darauf gehofft, Sie an unseren Tisch bitten zu können«, sagte Odile Lane und seufzte dann. »Aber Mrs. Shipley wollte nichts davon wissen. Sie hat gesagt, sie wollte Sie bei ihren Freunden haben, an ihrem üblichen Tisch.« Sie drohte Greta Shipley scherzhaft mit dem Finger. »Das war nicht nett«, trällerte sie.
Maggie sah, wie sich Mrs. Shipleys Lippen zusammenzogen. »Maggie«, sagte sie abrupt, »ich möchte Sie einigen meiner anderen Freunde vorstellen.«
Wenige Minuten später kündeten sanfte Glockenklänge an, daß das Abendessen aufgetragen werde.
Greta Shipley griff nach Maggies Arm, als sie den Flur entlang zum Speisesaal schritten, und Maggie bemerkte notgedrungen ein deutliches Zittern in ihren Bewegungen.
»Mrs. Shipley, fühlen Sie sich auch wirklich nicht krank?« fragte Maggie.
»Nein, kein bißchen. Es liegt nur an meiner Freude darüber, daß Sie hier sind. Ich kann verstehen, warum Nuala so glücklich und aufgeregt war, als Sie wieder in ihr Leben zurückgekehrt sind.«
Es befanden sich zehn Tische in dem Speisesaal, jeder mit Gedecken für acht Personen. »Oh, heute haben wir ja das Limoges-Porzellan und die weiße Tischwäsche«, sagte Mrs. Shipley voller Befriedigung. »Einige der anderen Tischdekorationen sind ein bißchen zu aufwendig für meinen Geschmack.«
Noch ein wunderschöner Raum, dachte Maggie. Sie erinnerte sich, gelesen zu haben, daß die ursprüngliche Bankettafel für diesen Saal sechzig Personen Platz geboten hatte.
»Als das Haus renoviert und neu eingerichtet wurde, hat man die Vorhänge genau nach denen im offiziellen Speisesaal im Weißen Haus angefertigt«, erzählte ihr Mrs. Shipley, als sie Platz nahmen. »So, Maggie, und jetzt müssen Sie Ihre Tischnachbarn kennenlernen.«
Maggie saß zur Rechten von Greta Shipley. Die Frau neben ihr war Letitia Bainbridge, die das Gespräch mit den Worten eröffnete: »Sie sind so hübsch. Von Greta habe ich gehört, daß Sie nicht verheiratet sind. Gibt es einen Mann in Ihrem Leben?«
»Nein«, sagte Maggie mit einem Lächeln, während ihr der wohlvertraute Schmerz einen Stich versetzte.
»Hervorragend«, stellte Mrs. Bainbridge entschieden fest. »Ich habe einen Enkel, den ich Ihnen gerne vorstellen würde. Als er noch ein Teenager war, dachte ich immer, er sei nicht ganz bei Trost. Lange Haare und eine Gitarre, lauter solche Dinge. Du liebe Güte! Jetzt aber, mit fünfunddreißig, ist er alles, worauf man nur hoffen konnte. Er ist der Chef seiner eigenen Firma, die irgend etwas Wichtiges mit Computern zu tun hat.«
»Letitia, die Kupplerin«, sagte jemand anders am Tisch und lachte.
»Ich habe den Enkel kennengelernt. Vergessen Sie’s«, flüsterte Greta Shipley ihr zu, bevor sie Maggie im normalen Tonfall den anderen vorstellte – drei Frauen und zwei Männern. »Mir ist es gelungen, die Buckleys und die Crenshaws für unsern Tisch zu ergattern«, erklärte sie. »Eines der Probleme in all diesen Heimen ist die Tatsache, daß sie die Tendenz haben, zu einer reinen Frauenangelegenheit zu werden, so
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