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Mondmädchen

Mondmädchen

Titel: Mondmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Priesterin der Isis mich in dieses kleine Gemach geführt hatte. Doch sicherlich nicht, um mit mir über den Glauben der Juden von Alexandria zu sprechen, oder?
    »Sag mir«, fuhr sie schließlich fort. »Glauben die Griechen an den freien Willen?«
    »Nein, wir glauben an die Moiren – die drei Schicksalsgöttinnen, die unser Leben von Geburt an bestimmen. Niemand sollte versuchen, seinem Schicksal zu entkommen, weil es sie und die Götter verstimmt. Selbst Zeus-Amun hat die Moiren gefürchtet!«
    Sie nickte. »Und was, glaubst du, haben die Moiren als dein Schicksal vorherbestimmt?«
    Verwirrt schaute ich sie an. War das nicht ganz klar? »Dass ich einmal Königin von Ägypten werde natürlich.«
    Aber es schnürte mir fast die Luft ab, als ich begriff, dass ich nur dann Königin von Ägypten werden würde, wenn meine Mutter starb. Ich wollte nicht, dass Mutter starb. Hatten meine unüberlegten Gedanken Anubis veranlasst, sich auf Mutter zu stürzen? Schnell legte ich zwei Finger auf die Stelle über meinem Herzen. Ich nehme alles zurück , flehte ich Anubis an. O Gott der Gerechtigkeit, Bewahrer der Toten, Bewacher des Hades. Ich bitte dich, meine Mutter zu schützen .
    Amunet sah mich lange an. »Die sieben Hathoren und die Moiren mögen das Recht für sich beanspruchen, dein Schicksal zu bestimmen, aber die Göttin Isis weiß, dass du dich dennoch immer wieder entscheiden musst, das Richtige zu tun und nach den Regeln der Ma’at zu leben. Ich frage mich nun, ob deine Mutter die Regel der Ma’at missachtet hat, indem sie dir diese Kette gegeben hat. Die Königin kennt die Bedeutung dieses Amuletts und weiß, wer es tragen darf und wer nicht. Warum also hat sie es dir gegeben? Und warum«, fragte sie fast im Flüsterton weiter, »sollte sie ohne es in den Krieg ziehen?«
    Würde Amunet mir jetzt verkünden, dass ich kein Recht darauf hatte? Oder schlimmer noch, dass die Tatsache, dass es in meinem Besitz war, meine Mutter in irgendeiner Weise in Gefahr brachte?
    »Isis Pharia ist deine sichere Zuflucht«, sagte Amunet, nachdem sie mich eine halbe Ewigkeit lang eingehend gemustert hatte. »Isis ist deine Retterin.«
    »Und wovor rettet sie mich?«, fragte ich. Und wichtiger noch, sollte sie nicht lieber meine Mutter retten?
    Die Priesterin sah mich weiter schweigend an, und es kostete mich große Mühe, ihrem Blick standzuhalten. Nach einer Weile erhob sie sich und brachte mir eine weiße Lotosblüte. »Spucke hinein«, befahl sie.
    Ich zögerte, aber ihre dunklen Augen beharrten darauf. Ich gehorchte. Sie ging in die Hocke, schloss die Augen und stimmte einen Gesang in der alten, heiligen Sprache an, während sie die Blütenblätter, die mit meinem Speichel benetzt waren, abzupfte und sie in eine goldene Schale warf, die mit Nilwasser gefüllt war. Die weißen Blütenblätter wirbelten umher, einige berührten kaum die Oberfläche, während andere ihre geschwungenen Ränder knapp unter die Wasseroberfläche tauchten. Amunet studierte sie und gab ein leises, kehliges Geräusch von sich, das mich aufschrecken ließ. Was hatte sie gesehen? Was hatte es zu bedeuten?
    »Komm mit«, sagte sie schließlich. Ich folgte ihr nach draußen in den Innenhof und dann in einen kleinen, fensterlosen Raum, in dem es nach Schweiß und Räucherwerk stank und nach noch etwas, süß und vertraut. Ich stand vor einer steinernen Tafel und versuchte, die in den Zierrahmen gemalten Hieroglyphen zu entziffern.
    »Da steht: ›Isis, die magische Macht‹«, sagte Amunet leise. »Selbst Ra musste sich der Magie von Isis unterwerfen. Es ist eine mächtige Kraft, die man sich nutzbar machen kann.«
    »Wir befinden uns also in dem Raum, der dazu dient, die Magie der Isis heraufzubeschwören?«, krächzte ich überrascht. »Du willst Magie anwenden?«
    »Nein. Die Göttin will, dass ich dir zeige, wie du den Zauber bewirken kannst«, sagte sie.
    Ein Zauber? Den ich lernen sollte? Mein Herzschlag beschleunigte sich vor Furcht und Aufregung.
    Amunet entzündete eine Schale mit Räucherwerk auf einem niedrigen Tisch. Der Geruch war scharf, bitter und rauchig, und ich bemühte mich, nicht zu husten, konnte es aber nicht ganz unterdrücken. »Weihrauch«, sagte die Priesterin. Nachdem sie einer Dienerin flüsternd einige Anweisungen erteilt hatte, reinigte sie jede Ecke mit dem Rauch. Die Luft im Raum wurde warm und Dunst stieg auf. Als die Dienerin zurückkehrte, trug sie eine große Schale mit einer zähen Flüssigkeit in die Mitte des Raumes.

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