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Mondmädchen

Mondmädchen

Titel: Mondmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Bruder sagte nichts, was mich an der Richtigkeit dieser Annahme zweifeln ließ.
    Aber als der Sommer kam und meine Eltern noch immer nicht aus Actium zurückkehrten, breitete sich im Palast eine unsichere Stille aus. Weniger Diener eilten durch die Gänge, und wenn sie es taten, dann versammelten sie sich in dunklen Ecken und flüsterten. Ich hielt beharrlich an dem Glauben fest, dass wir Octavian besiegen würden. Schließlich gab es nur zwei Feldherrn, die besser gewesen waren als unser Tata – Gaius Julius Caesar, Caesarions Vater, und unser eigener Vorfahr, Alexander der Große.
    Da es Euginia weiterhin nicht gefiel, die Insel Pharos und unseren Leuchtturm zu besuchen, ging ich oft ohne sie dorthin. Die riesige Statue der Göttin vor dem Tempel der Isis auf Pharos war für mich ein Ort des Trostes geworden. Isis von Pharos oder Isis Pharia, wie wir sie nannten, starrte aufs Meer hinaus voller Schönheit, Ernst und Selbstvertrauen. Ich stellte mir vor, dass sie über das weite Meer hinweg ganz bis nach Actium blicken und über Mutter wachen konnte. Oft brachte ich der Göttin Geschenke dar – edles, erdfarbenes Räucherpulver, das ich so hoch wie möglich in die Luft hielt und zusah, wie die kräftigen Winde vom Meer den heiligen Duft verteilten und um sie herumwehten.
    Isis Pharia hielt ein riesiges Segel aus Marmor in die Höhe, gefüllt mit den günstigen Winden, um die alle Seeleute beteten. Eines windigen Tages stand ich neben der Statue und hielt die Zipfel meines Seidenumhangs so, dass der Wind hineinfuhr und es aufblähte wie das Segel der Göttin.
    »Sieh her, Katep!«, rief ich und stellte mich hin wie die Göttin und blickte aufs Meer hinaus. »Ich bin Isis Pharia! Die große Beschützerin! Die Schutzpatronin aller Seelen, die ihre Meere bereisen!«
    Katep fuhr sich mit dem rechten Arm über das Herz, als Zeichen zum Schutz vor dem Bösen. »Prinzessin!«, rief er aus. »Wie kannst du es wagen, die Göttin so zu verspotten!«
    Ich ließ die Zipfel meines Umhangs los und der Wind peitschte ihn hinter mich, was mich zum Stolpern brachte. Mein Magen machte einen Satz. Ich verspottete sie doch nicht! Das war doch nur ein Spiel.
    »Die Göttin des Lebens nimmt keinen Anstoß daran, wenn ihre Kinder zu ihren Füßen spielen«, sagte jemand hinter mir.
    Ich wandte mich um und erblickte über mir das Gesicht der Priesterin Amunet, Herrin des Tempels der Isis auf Pharos. Ein paar Strähnen ihrer langen dunklen Haare waren aus ihrem safrangelben Übergewand gerutscht und wehten nun im kräftigen Wind. Tiefe Falten um ihre Augen und ihren Mund gruben sich in einen Teint, der in einem satten, warmen Braun leuchtete.
    Katep verneigte sich und auch ich erinnerte mich an meine guten Manieren und beugte den Kopf vor der mächtigen Oberpriesterin.
    »Ich habe oft beobachtet, wie du dich der Isis Pharia näherst«, sagte Amunet zu mir. »Es scheint, dass die Göttin dich ruft.« Ich blinzelte, da ich nicht sicher war, dass ich recht verstand, was sie meinte. »Komm, lass uns aus diesem Wind gehen, dann werde ich es dir erklären.«
    Ich folgte ihr durch das erste große Portal des Tempels, unter dem Relief hindurch, auf dem die Göttin Isis ihren geliebten Sohn Horus, den ersten Pharao von Ägypten, an der Brust nährt. Wir traten in den schattigen Vorhof, wo Priester mit kahl rasierten Köpfen in langen weißen Röcken hin und her eilten.
    Sie nahm mich mit in das Purgatorium zur Reinigung. Eine langhaarige Dienerin wusch mir die Füße und die Hände mit warmem, nach Majoran duftendem Wasser und salbte dann meine Stirn mit geweihtem Lotos-Öl. Ich schloss die Augen unter der sanften Berührung ihrer Finger, die den Knoten der Isis auf meine Haut zeichneten, und atmete den schweren, süßen Duft Ägyptens ein.
    Nach unserer rituellen Waschung folgte ich Amunet in ein privates Gemach, einen kleinen Raum mit hohen Fenstern, durch die frische Meeresluft hereinwehte. Man hörte den Klang von Handklappern, Sistrum genannt, die rhythmisch die Gebete begleiteten.
    »Setz dich, Prinzessin«, sagte Amunet, während sie selbst es sich auf einem blutroten Kissen auf dem Boden bequem machte. »Jetzt sag mir«, forderte sie mich auf, nachdem ich mich gesetzt hatte. »Wie hat Isis ihre Tochter zu sich gerufen?«
    Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Deswegen schwieg ich. Eine Dienerin kam herein und trug zwei blaue Porzellantassen. Sie nahm aus jeder einen Schluck, um zu beweisen, dass das Getränk darin nicht vergiftet war,

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