Mondmädchen
aber er verbrachte oft ganze Tage allein in einem kleinen Haus auf Pharos, das er das Timonium nannte. Tatas Zurückgezogenheit besorgte mich noch mehr als die bevorstehende Invasion von Octavian, die mir ganz und gar unwirklich erschien. Alle redeten davon, doch es geschah nichts. Die Sorgen meiner Eltern waren viel direkter und bedrohlicher. Würde ich sie je wieder lächeln sehen?
Monate vergingen und die Schifffahrt wurde den Winter über eingestellt. Noch immer keine Anzeichen von Octavian. Meine Familie und Alexandria zogen sich in sich zurück, wie eine Lotosblume, die nachts ihre Blüten schließt. Ich erinnere mich nur wenig an diesen Winter mit Ausnahme der stillen Mahlzeiten und dem abwesenden, beinahe hilflosen Ausdruck auf den Gesichtern meiner Eltern.
Doch als der Frühling kam, wirkten Mutter und Vater wieder fröhlicher. Ich wusste damals nicht, dass es die Unbeschwertheit der Resignation war, weil sie sich in ihr Schicksal gefügt hatten.
Im späten Frühjahr überzeugte Caesarion meine Eltern, dass ihm noch eine Mannbarkeits-Zeremonie gebührte. Immerhin, hatte er nicht Ägypten in ihrer Abwesenheit regiert? Er verdiente es, als der Mann angesehen zu werden, der er war, und nicht nur als jugendlicher König.
Meine Familie – und ganz Alexandria – begrüßten den Schritt unseres jungen Königs zur Mannbarkeit als ein Symbol der Hoffnung für die Zukunft. Caesarion war ein guter König. Und ein guter König hatte eine umso bessere Feier verdient, die Tata für ihn nach römischem Brauch ausrichtete mit einem rauschenden, weinseligen Fest im Namen des römischen Gottes Liber und seiner Gemahlin Libera, den Göttern der Trunkenheit und der Fruchtbarkeit.
»Ich möchte einen Trinkspruch ausbringen!«, rief Tata bei dem nächtlichen Festgelage. Der große Bankettsaal brach in Jubel aus. Vater sah weniger mitgenommen aus als direkt nach seiner Rückkehr, dennoch strahlte er selbst in seiner jovialen Stimmung eine gewisse Müdigkeit aus. »Einen Trinkspruch!«, wiederholte er und stand ein wenig unsicher auf, sein Gesicht war gerötet und verschwitzt in dem flackernden Licht der Fackeln. Ich schaute auf seine Hände und konnte den Ring mit dem Horusauge nicht entdecken. Wann hatte er aufgehört, ihn zu tragen? Hatte Octavian deswegen gewonnen?
Vater hielt seinen Kelch in die Höhe und wartete darauf, dass alle es ihm gleichtaten. Ptoli tanzte zur Musik von Panflöten und Leiern und hielt dabei seinen kleinen Kelch mit verdünntem Wein über den Kopf. Mit seinem verschmitzten Grinsen hätte es nur noch Hörner gebraucht, um ihn wie einen kleinen Satyr aussehen zu lassen.
Ich wandte mich um auf der Suche nach meinem Kelch. Hatte jemand ihn aus Versehen genommen? Ich wollte Caesarion kein Unglück bringen, indem ich ihm nicht zuprostete. Ich versuchte, den Blick eines Dieners zu erhaschen, als Vater mit seiner Rede begann. Wo war mein Kelch? Und wo war Zosima?
Vater hatte offenbar aufgehört zu reden, denn nun brach der ganze Saal in Beifall aus und die Leute fingen an, auf Caesarion zu trinken. Auch ich musste meine Glückwünsche hinzufügen! Ich wollte schon Alexandros seinen Becher aus der Hand nehmen, als ein Diener mir rasch einen Kelch in die Hand schob. Rasch hob ich das Gefäß an die Lippen.
Ich hörte ein Krachen und spürte einen brennenden Schmerz an Wange und Kiefer. Erschrocken schrie ich auf, als dunkle Flüssigkeit in hohem Bogen aus meinem Becher spritzte und ich zu Boden stürzte. Was war geschehen?
Im Saal wurde es still. Mutter stand über mir und die rasende Wut in ihrem Gesicht ließ mir das Blut erstarren. »Du dummes Ding«, zischte sie. »Weißt du nicht ganz genau, dass du keinen Becher mit ungekostetem Wein trinken sollst?«
Mutter hatte mich geohrfeigt – und mir den Weinbecher aus der Hand geschlagen –, und zwar so fest, dass ich gestürzt war. Ich hielt mir die Wange, rappelte mich auf und strich dabei mein Gewand glatt. Im Bankettsaal war es ganz still, während alle mich anstarrten, und meine Wangen glühten vor Scham. Mutter wies ihre königliche Leibwache an, den Diener zu finden, der mir den Becher gereicht hatte. Anscheinend war er aus dem Raum gerannt, sobald er ihn mir in die Hand geschoben hatte. Der Saal vibrierte förmlich vor Geflüster und Gemurmel. Nach wenigen Augenblicken kehrten die Wachen zurück und zerrten einen barfüßigen ägyptischen Jungen vor meine Mutter.
»War er vergiftet?«, fragte sie den Jungen in langsamem, drohendem Tonfall.
Er
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