Mondmädchen
ihrem Stuhl auf. »Du bösartiges Biest«, zischte sie. »Wie kannst du es wagen!« Sie griff nach einer noch immer zusammengeschnürten Schriftrolle auf ihrem Schreibtisch und warf sie mit aller Kraft in das andere Zimmer.
Ich hielt den Atem an. Noch nie, niemals hatte ich eine derart wütende Reaktion bei meiner Mutter gesehen. Charmion und Iras sprangen beide erschrocken auf.
»Hoheit, nein!«, sagte Iras. »Das ist eine Sünde, für die Bastet sicher Rache fordern wird …«
Mutter wandte sich zu ihr um. »Als hätte sie mich nicht schon genug gestraft. Nun, wenn die Göttin mich angreifen will, dann weiß sie jetzt, dass ich mich zur Wehr setzen werde.«
»Aber …«, hob ich an, doch Iras schüttelte nur warnend den Kopf. Ich klappte den Mund wieder zu.
Charmion machte das Zeichen zum Schutz gegen das Böse und schloss die Tür zum Vorzimmer, um die Katze draußen zu halten. Mutters Augen wirkten mit ihren tiefen, beinahe violetten Schatten riesig und fiebrig. Sie fluchte leise vor sich hin, während sie ihren mittlerweile blutenden Knöchel inspizierte.
»Bringt mir etwas«, befahl sie. Iras brachte ein weiches Leinentuch und fing an, an dem Kratzer herumzutupfen, aber Mutter riss ihr den Stoff aus den Hand und drückte ihn selbst auf die Wunde. Ich hatte sie noch nie so aufgewühlt gesehen. Sie musste meinen Blick gespürt haben, denn nun wandte sie sich mit funkelnden Augen zu mir.
»Du kommst hier rein und wiegelst das Tier mit deinen albernen Spielen auf! Das ist alles deine Schuld. Ich will, dass du auf der Stelle gehst!«
»Aber ich habe doch gar nichts getan. Ich …«
»Raus! Nimm die blöde Feder mit und verschwinde!«
Starr vor Schreck blickte ich zu ihr auf, verängstigt und wütend zugleich, dass sie mir die Schuld für den Angriff der Katze gab. Dann warf ich die Feder hin und rannte aus dem Zimmer.
Katep, der auf einer Bank draußen im Gang gedöst hatte, sprang auf. »Was ist los?«
»Lass mich in Ruhe!«, rief ich und rannte zurück zu meinen Gemächern. Ich war zu aufgewühlt, um in mein Schlafgemach zu gehen, und so ging ich davor auf und ab und wartete auf Katep. Zu meiner Überraschung ging Charmion neben ihm.
»Mondmädchen, Kleiner Mond …«, sagte Charmion.
»Ich bin gar nicht mehr so klein, falls dir das nicht aufgefallen ist«, unterbrach ich sie.
Sie seufzte. »Ich möchte dir gern erklären, welchem Druck die Königin im Moment ausgesetzt ist. Komm mit.«
Katep reichte ihr eine kleine Öllampe und die Vertraute meiner Mutter und ich gingen in einen der kleinen Seitengärten, die sich so gut für vertrauliche Gespräche eigneten. Dattelpalmen rauschten im Wind, grau und geheimnisvoll in der Dunkelheit. Von Zeit zu Zeit kam ein Windstoß, der den Geruch des Meeres mit sich brachte und den geschlossenen Lotosblüten, dem Jasmin, den Rosen und dem Geißblatt ihren Duft entlockte. Nie mehr habe ich eine Mischung gerochen, die so schmerzhaft schön war – das kühle Salz des Meeres, das sich mit dem schweren Duft der ägyptischen Blüten vermengte. Ich füllte meine Lungen mit diesem Reichtum und versuchte zugleich, den lästigen Schluckauf zu unterdrücken, der oft meinen Tränen folgte.
»Du musst verstehen«, sagte Charmion und beugte den langen, geschmeidigen Körper, um sich auf einer Marmorbank niederzulassen. Ich setzte mich neben sie. »Deine Mutter hatte einen Plan, wie sie unser aller Leben retten wollte, aber heute erst musste sie entdecken, dass einer der Könige von Arabien alles zunichtegemacht hat.«
Ich blickte sie verständnislos an.
»Lass mich erklären: Octavian ist, wie du weißt, unterwegs, um Alexandria zu erobern.« Sie hielt inne und musterte mein Gesicht. »Hast du das gewusst?«
Ich schüttelte den Kopf. Das war eine Überraschung, denn ich hatte gedacht, dass das Schlimmste bereits überstanden war. Schließlich war Mutter heil wieder zu Hause.
»Anscheinend ist Octavian ihr nicht direkt gefolgt, weil er vorhat, zuerst durch alle Königreiche und Provinzen im Osten zu ziehen und sie unter seine Kontrolle zu bringen. Dann erst wird er angreifen.«
Ich schluckte und versuchte zu begreifen, dass wir in schrecklicher Gefahr waren. »Und warum hält Vater ihn nicht auf?«, fragte ich.
Das kann er nicht. Er ist nach Libyen gesegelt, um dort sein Heer zu sammeln. Doch da musste er feststellen, dass sein Befehlshaber vor Ort – ja, alle seine Tribune und Legionen – zu Octavian übergelaufen sind. Er hat keine Armee mehr außer den Soldaten
Weitere Kostenlose Bücher