Mondmädchen
der Trauer von ihrem Kopf schob. Sie neigte sich zu mir hinab in einer Bewegung, die so langsam und anmutig war wie ein Segel, das sich auf dem Nil entfaltet. »Halte an mir fest in deinem Herzen«, sagte sie. »Ich werde dir helfen, das verspreche ich, selbst wenn sie mich zerstören.«
Ich begriff nichts von dem, was sie da sagte – jedenfalls damals nicht. Aber bei der Berührung ihrer warmen Handfläche auf meinem Kopf, breitete sich ein Gefühl der Ruhe in meinem Herzen aus. Goldenes Licht, so dickflüssig und zäh wie Honig, ergoss sich über mich, hob mich nach oben und hielt mich in einem Schwebezustand von süßem Frieden.
»Tja, jetzt hast du es überstanden!«, sagte Mutter und lächelte zu mir hinab.
Ich blickte sie verwirrt an. Was hatte ich überstanden? Und warum war ich in ihrem Vorzimmer? Hekate tapste über meine Brust und stieß schnurrend mit dem Kopf gegen meine Wange. Ich bemerkte den dicken Bauch der kleinen Katze und lächelte.
»Hekate hat ja kleine Kätzchen im Bauch!«, verkündete ich und war überrascht, dass meine Worte nicht lauter als im Flüsterton herauskamen. Mutter lächelte und mir wurde klar, dass sie es bereits wusste. Sie setzte sich neben mich auf die Schlafcouch.
»Warum hat dieser Junge versucht, mich zu vergiften?«, fragte ich.
Mutter seufzte. »Wir haben eine Verschwörung von einer Gruppe von fanatischen Anhängern der alten Traditionen aufgedeckt – Ägypter, die in der bevorstehenden römischen Invasion eine Gelegenheit sehen, die griechische Herrschaft zu beenden und sich vor den Römern zu schützen. ›Ägypten den Ägyptern‹ ist ihr Motto, soweit mir bekannt ist.«
»Was?«
»Ja, aber die Gruppe wurde inzwischen ausgelöscht, obwohl ich sicher bin, dass an ihrer Stelle eine neue entstehen wird. Diese hier hat sich um einen jungen Priester im Tempel von Ptah in Memphis gegründet. Unglücklicherweise haben sie dich als erstes Ziel erwählt – und du musstest den Preis dafür zahlen.«
Mutter blickte auf mich hinab und rieb meinen Arm. Ich folgte ihrem Blick und sah kleine rote Stellen. »Bäh!«, rief ich. »Blutegel! Olympus hat mir Blutegel aufgesetzt!«
»Das hat dir das Leben gerettet, meine Tochter. Aber wenigstens warst du nicht wach und hast es nicht mitbekommen.«
Ich schauderte und drehte den Kopf zur Seite. Ich wollte die Anzeichen der Behandlung nicht sehen. »Mutter …«, flüsterte ich.
»Ja?«
»Was wird mit uns geschehen?«
Sie erstarrte. »Ich verhandele mit Octavian um eure Sicherheit.« Nun war ihr Tonfall wieder kalt und förmlich.
Ich versuchte mich aufzusetzen, musste aber feststellen, dass ich schwächer war, als ich gedacht hatte. »Was hat das zu bedeuten?«
»Es bedeutet, dass ich auf den Thron verzichten werde, wenn er Caesarion als Herrscher einsetzt, und dass du und deine Brüder weiterhin hier in Ägypten leben dürfen.«
Ich blickte meine Mutter mit großen Augen an. Sie wollte abdanken? War es wirklich so weit gekommen? »Aber wo gehst du dann hin? Was wirst du dann tun?«
Sie hielt inne. »Das spielt keine Rolle, solange meine Kinder leben und in Ägypten regieren.«
»Und wie lautet seine Antwort?«
»Nun, sagen wir nur, er hat ein Gegenangebot gemacht.«
»Und wie lautet das?«
Mutter stand auf. »Ruh dich aus, meine Tochter. Ich merke, wie müde du bist.« Sie berührte meine Wange und verließ den Raum.
Erst später erfuhr ich, dass die Königin von Ägypten Octavian mehr als nur ihre Krone im Austausch für unsere Sicherheit geboten hatte – sie hatte ihr eigenes Leben geboten, wenn er dafür unsere Sicherheit in Ägypten garantierte. Und der Mann, der die Welt regieren sollte, erklärte ihr, sie könne sowohl ihren Thron als auch ihr Leben behalten unter einer Bedingung: Sie sollte Vater für ihn ermorden.
Das tat Mutter natürlich nicht. Und sie lieferte ihn auch nicht an Octavian als Gefangenen aus, was er ebenfalls vorgeschlagen hatte. Ob aus Liebe oder Ergebenheit oder einer Mischung von beidem, Mutter schwankte nie in ihrer Treue zu Tata, trotz der bösen Gerüchte, die später in Rom über sie verbreitet wurden.
An dem Morgen, an dem ich in meine eigenen Gemächer zurückkehren sollte, kam Vater aus Mutters Schlafkammer. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er am Abend durch das Vorzimmer gegangen war. Tata sah ein wenig zerknautscht aus in seiner einfachen braunen Tunika und auf seinem Gesicht zeigten sich ein paar Bartstoppeln. Er würde sich, wie ich wusste, bald in die Bäder
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