Mondmädchen
Überzeugung in den Kampf ziehen?«, fragte ich erschrocken.
»Das habe ich nicht gesagt. Aber ich wäre kein guter Feldherr, wenn ich die Kräfteverteilung nicht einschätzen könnte.«
»Bitte, Tata!« Ich kämpfte gegen den Drang an, mir die Ohren zuzuhalten. Ich wollte das alles nicht hören. Ich wollte hören, dass alles gut werden würde, dass Vater Octavians Armee in die Flucht schlagen und die Welt so bleiben würde, wie ich sie immer gekannt hatte. Ich muss mir wohl wirklich die Ohren zugehalten haben, denn ich spürte, wie Vaters große, warme Hände sie mir vom Kopf lösten. Er betrachtete meine Handflächen und küsste beide sanft.
»Du hast die Hände deiner Mutter«, murmelte er.
Eine Welle von ängstlicher Wut überkam mich. Ich riss meine Hände aus den seinen. »Ich werde dir nicht Lebewohl sagen, Vater! Du kannst mich nicht dazu zwingen! Du wirst morgen zu uns zurückkommen. Und falls nicht … werde ich … werde ich dich finden, wo immer du bist … und … und …«
Zu meinem Entsetzen warf Vater den Kopf in den Nacken und lachte. »Komm her«, sagte er, riss mich in seine Arme und drückte mich an sich. »Meine kleine Kleopatra.«
Auch ich drückte ihn mit aller Kraft. Tata küsste mich auf die Wange, schob mich von sich und sagte: »Nun geh. Geh schlafen, meine geliebte Kleine.«
Ich rannte in mein Zimmer. Das sind Tränen der Wut , versuchte ich mir einzureden. Königinnen weinen nicht wie kleine Kinder. Ich bin die Tochter meiner Mutter. Ich werde meine Gefühle unter Kontrolle halten.
Ich merkte, dass Vater weit vor Sonnenaufgang ausrückte, denn als ich kurz aufwachte, hörte ich die Vorbereitungen – die gedämpften Stimmen der Männer in der Dunkelheit, das Knarren von Leder, das Klirren der Waffen – dann schlief ich wieder ein.
Stille senkte sich über den Palast wie ein Leichentuch. Zum Trost suchten meine Brüder und ich an diesem Morgen die Gesellschaft der anderen im großen Spielzimmer. Iotape und ihre Amme kamen ebenfalls zu uns. Ptoli neckte seine Katze, Sebi, eines der Kätzchen, die Hekate zur Welt gebracht hatte – mit einem geflochtenen Papyrusseil und kicherte jedes Mal albern, wenn er es außer Reichweite zog.
»Sebi wird sauer, wenn du ihn nicht wenigstens von Zeit zu Zeit mal gewinnen lässt«, warnte ich ihn und überlegte zugleich, wohin mein eigenes Kätzchen, Tanafriti, wohl verschwunden war. Ptoli achtete wie üblich gar nicht auf mich.
Iotape und Alexandros flüsterten miteinander. Ich verschränkte die Arme und starrte sie so lange an, bis sie mich bemerkten.
»Was ist?«, fragte Alexandros.
»Was flüstert ihr da?«
Alexandros rieb sich die Augen. »Wir haben vor zu fliehen«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme.
Noch bevor ich auf diese schockierende Bemerkung antworten konnte, ertönte ein klagender Schrei von irgendwo aus dem Inneren des Palastes. Unsere Köpfe fuhren in die Höhe und wir blickten uns mit großen Augen an. »Was ist los?«, flüsterte Ptoli. »War das ein Geist?«
Nafre kam zu ihm hinüber und nahm ihn auf den Arm. »Komm her, mein kleiner Prinz. Da ist nichts. Ich nehme an, einer der Köche hat seinen Lieblingsteller fallen gelassen, sonst nichts.«
Ptoli ließ sich in die Ecke führen, wo er sich an Nafre kuschelte, die sich dort hinlegte. Ich schaute zu Alexandros hinüber.
»Was glaubst du, ist da passiert?«, fragte er.
»Wir sollten es herausfinden«, flüsterte ich. Ich wandte mich um und bedeutete ihm, mir zu folgen.
»Kommt zurück!«, rief Zosima, sobald sie bemerkte, was wir im Schilde führten. »Ihr müsst hierbleiben!«
Wir rannten nach draußen in den Gang. »Schnell, wir teilen uns auf«, befahl ich. »Ich nehme den Nordflügel, du den Südflügel.«
Ich sauste davon. Als ich mich umdrehte, sah ich meinen Zwillingsbruder mit großen Augen und still wie eine Statue dastehen. Er machte kehrt, als wollte er zu Iotape zurückgehen. »Los!«, zischte ich. »Wir treffen uns anschließend beim Lotosblüten-Teich.«
Meine Schritte hallten in den leeren Gängen wider. Wo steckten sie nur alle? Ich bog um eine Ecke und sah einen alten ägyptischen Diener, der einen Leinensack vollgestopft mit Dingen aus dem Palast bei sich trug. Er blieb stehen, als er mich sah, seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen.
»Möge Isis dich beschützen, Tochter des Ra«, sagte der alte Mann und verneigte sich.
»Was ist hier los?«, fragte ich auf Ägyptisch.
»Alle … alle Männer des Imperators sind zu den Römern
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