Mondmädchen
Kinderflügel, immer noch zu verängstigt, um uns nach draußen zu wagen. »Römische Soldaten sind wie wilde Tiere!«, hatte Zosima erklärt. »Wir müssen ihnen unbedingt aus dem Weg gehen.«
Ich glaubte ihr. Ich hörte das Weinen der Frauen, über die sie herfielen, und die qualvollen Schreie von treuen Dienern, die sie folterten. Alexandros klammerte sich in dieser Zeit noch mehr an Iotape, denn sie war mit ihrer Amme zu uns in unsere Gemächer gezogen. Und so hielt ich mich an Ptoli und er sich an mich. Ich fing an, ausgedehnte Fantasiespiele mit ihm zu spielen, um ihn zu beschäftigen.
Dennoch wurden seine Wutanfälle immer heftiger. Er schrie, wenn wir ihm erklärten, dass er die Löwen in der Menagerie nicht besuchen und auch nicht in unserer Privatbucht schwimmen oder einen Ausflug zum Leuchtturm machen konnte. Er warf sich auf den Boden, wenn er keinen frischen Granatapfelsaft bekam oder die süßen Mandeltörtchen, die er so gerne hatte. Die Römer gaben uns das zu essen, was auch die Soldaten aßen – vor allem Brot und Bohnen und sauren Wein. Das Essen wurde uns von verängstigten Küchenbediensteten gebracht, die trotz Gefahr für Leib und Leben manchmal eine paar frische Feigen oder Trauben und winzige Honigkuchen dazwischenschmuggelten.
Wir hatten ein solches Bedürfnis nach frischer Luft, dass wir schließlich draußen auf unserer Terrasse schliefen. Die Geräusche und Gerüche des Meeres hatten eine beruhigende Wirkung auf uns. Aber es war eine sehr einsame Zeit für mich, vor allem wenn ich sah, wie oft mein Zwillingsbruder und Iotape Hand in Hand einschliefen. Ich wollte auch jemanden haben, der meine Hand hielt. Ich wollte zu meinem Tata. Ich wollte zu Caesarion, der, wie ich inständig hoffte, immer noch auf dem Weg nach Indien war. Ich wollte zu meiner Mutter.
Schließlich erfuhren wir, dass Octavian uns erlauben wollte, unsere Mutter zu sehen. Er hatte ein Treffen in ihren Gemächern anberaumt. Mutter befahl unseren Ammen, uns bereits vor dem vereinbarten Zeitpunkt zu ihr zu bringen.
Nichts hatte mich auf ihren Anblick vorbereitet. Ich wusste, dass sie nach Tatas Tod krank vor Trauer gewesen war, dennoch wich ich zunächst einen Schritt zurück beim Anblick des Gespenstes, das mir in ihrem Zimmer entgegenblickte. Ihr üblicherweise strahlender Teint wirkte bleich und farblos, so als hätte jemand ein Laken aus dickem Leinen über die Sonne geworfen. Dabei sah sie so elegant aus wie eh und je in ihrem purpurfarbenen thyrrenischen Gewand, der Farbe des Königshauses. Ihr Lieblingsarmband mit der goldenen Schlange wand sich ihren Arm empor, die smaragdenen Augen leuchteten. Goldene Bänder hielten ihr dickes, dunkles Haar zusammen, das sie in dem einfachen griechischen Stil hochgesteckt hatte, den sie bevorzugte. Und ihre Zofen hatten ihre Augen mit schwarzem Kajal und Malachit geschminkt, was normalerweise ihr goldgrünes Glitzern betonte. Aber mich drückte mehr und mehr die Erkenntnis nieder, was fehlte. Das wilde, knisternde, kluge Licht, das aus den Augen meiner Mutter geleuchtet hatte, war verschwunden. Sie wirkte gebrochen und leer.
Sie stand nicht von ihrer Liege auf, um uns zu empfangen, sondern rief uns einzeln zu sich. Ptoli ging als Erster zu ihr. Sie nahm ihn in die Arme, und ich sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, als sie ihn betrachtete und in sich aufnahm, wie unheimlich ähnlich er unserem Vater war – die lockigen Haare, die blitzenden Augen, der kräftige, gedrungene Körper, die Art, wie er breitbeinig dastand, als wäre er jederzeit bereit loszulegen. Übelkeit erfasste mich, als mir wieder einmal bewusst wurde, dass ich meinen geliebten Tata nie mehr wiedersehen würde.
Ptoli fing an, Mutter mit Fragen zu bedrängen, was sie sichtlich mitnahm: Wo war Tata? Warum durften wir sie nicht besuchen? Warum konnten wir uns nicht mehr frei im Palast bewegen? Natürlich wusste Ptoli genau, dass Vater gestorben war, aber Mutters Anblick schien ihn zu verwirren und er regte sich auf und wurde wütend, so als würde Mutter ihn mit Absicht ärgern. Nafre trat rasch an seine Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie hob ihn hoch – auch wenn mein Bruder schon zu groß wirkte, um von ihr hochgehoben zu werden – und flüsterte weiter auf ihn ein, während sie ihn nach hinten ins Zimmer brachte, um ihm dort etwas zu zeigen, was ihn von seinem sich ankündigenden Wutanfall ablenken würde.
Alexandros ging als Nächster. Mutter umarmte ihn und küsste ihn auf die
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