Mondmädchen
Diener hatte berichtet, die Römer würden die zahmen Tiere im Garten des Palastes nur so zum Spaß aufspießen, und ich betete, dass Amisi ihnen aus dem Weg ging. Einmal hörte ich eine Gruppe von Männern lachen und stöhnen, während zugleich eine junge Frau schrie und um Gnade bettelte. Zosima und Nafre wechselten nervöse Blicke, und ich fragte mich, ob sie die junge Frau wohl kannten, die dort draußen überfallen wurde.
Ptoli weinte sich an diesem Abend in Nafres Armen in den Schlaf. Sie hatte ihm schließlich doch von Tatas Tod erzählt.
Der Palast wirkte dunkler als sonst. Keiner entzündete die Fackeln, die normalerweise die Wege zwischen den Sälen und den Gärten erleuchtet hatten. Selbst die überdachten Gänge zur Bibliothek und zu den Wohnungen der Gelehrten hinüber wirkten düster und gefährlich. Nur Pharos, der Leuchtturm, brannte so hell wie eh und je.
Ich stand auf unserer Terrasse und starrte auf die roten Flammen, die die Nacht erleuchteten. Ich fühlte mich selbst von dem Leuchtturm verraten. Wie konnte er so weiterleuchten, als wäre nichts geschehen? Wusste der Leuchtturmwärter denn nicht, dass mein Tata tot war? Hätte er nicht das Feuer zu seinen Ehren löschen sollen? Um sich Rom zu widersetzen? Und doch schien es genau so hell wie immer über das grau-schwarze Meer und wies, Isis mochte wissen, wie vielen weiteren römischen Soldaten den Weg zu unserer Küste. Verräter!
Ich bemühte mich, meine Wut und meine Trauer in den Griff zu bekommen. Trauer über den Verlust von Tata und Wut auf die Römer, die Mutter aufgelauert und sie zurück in ihre Gemächer hier im Palast geschleppt hatten. Als ich zu ihr gehen wollte, verkündete der Soldat, der ihre Tür bewachte: »Caesar hat befohlen, dass keiner zur Königin darf.«
»Nicht einmal ihre eigenen Kinder?«, fragte ich ungläubig.
»Vor allem nicht ihre eigenen Kinder.« Der Mann grinste hämisch.
Die Ungerechtigkeit – die Grausamkeit – uns an dem Tag, an dem unser Vater gestorben war, von unserer Mutter fernzuhalten war unbegreiflich.
»Warum? Warum tun sie das?«, jammerte ich später Katep vor.
»Sie benutzen euer Leben, um mit der Königin zu verhandeln.«
»Was?«
»Solange dieser Römer euch von ihr fernhält, schürt er die Angst, er könnte euch auf irgendeine Weise etwas angetan haben – oder noch antun. Er hat bei Todesstrafe verboten, dass irgendjemand euch erlaubt, sie zu besuchen, oder dass sie zu euch kommt.«
»Aber das ist so ungerecht!«
»Es ist so«, erklärte Katep. »Der Römer weiß, dass sie versucht hat, eurem Vater in das Land Amentet zu folgen. Sie hat einen Dolch gegen sich selbst gerichtet, als seine Männer eingedrungen sind, aber ein Soldat hat ihn ihr aus der Hand gewunden. Octavian hält euer Leben in seinen Händen, damit sie es nicht noch einmal versucht.«
Ich musste einen Laut von mir gegeben haben, denn Katep wandte sich zu mir um und betrachtete mich. »Es tut mir leid, Kleiner Mond. Ich hätte nicht so offen sprechen dürfen.«
Aber es war nicht die Bedrohung für unser Leben, die mich so erschreckte. Es war der Schock zu erfahren, dass Mutter versucht hatte … dass sie vorgehabt hatte …
Aber das hätte sie doch niemals getan! Wie hätte sie im Sinn haben können, uns allein unserem Schicksal zu überlassen? Sicherlich hatte Katep die Geschichte falsch verstanden. Mutter hatte versucht, den römischen Soldaten mit dem Dolche zu töten. Ja! Das war die einzige Erklärung, die einen Sinn ergab. Mutter hätte uns niemals so im Stich gelassen. Das hätte sie nicht getan und würde es auch nicht tun!
Tatas schiefes Grinsen und seine Umarmungen verfolgten mich in meinen Träumen. Ich wachte auf und suchte nach den Jactus -Würfeln, um mit ihm zu spielen oder hörte sein Lachen, während er mit uns Fangen spielte. Octavian verschlimmerte meinen Kummer nur noch, indem er uns weiterhin verbot, unsere Mutter zu sehen. Ich machte mir Sorgen: Hielt er sie gefangen? Hatte er ihr etwas angetan? Ging es ihr gut?
In meiner Verzweiflung wurde ich auch wütend auf Mutter. Warum setzte sie sich nicht gegen ihn zur Wehr? Sie war schließlich noch immer die Königin, oder etwa nicht?
»Das tut sie für euch«, erinnerte mich Katep immer wieder. »Damit er dir und deinen Brüdern nichts antut.« Aber ich hatte Mutter noch nie in einer Position der Schwäche gesehen. Das machte mir Angst und zugleich machte es mich wütend.
Während der langen Tage des Wartens blieben wir mit unseren Ammen im
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