Mondmädchen
Stirn. Ich konnte nicht hören, was sie ihm zuflüsterte – oder was er zurückflüsterte – aber an der Röte, die im Nacken meines Zwillingsbruders aufstieg, erkannte ich, dass er Mühe hatte, Haltung zu bewahren.
Als ich an der Reihe war, erschauerte ich, weil ich diesen wie tot wirkenden Augen nicht nahe sein wollte, mich aber dennoch danach sehnte, mich in der Umarmung meiner Mutter zu verlieren. Mir schnürte sich die Kehle zusammen, als ich vor ihr stand. Sie öffnete die Arme und ich schloss die Augen, während ich mich in ihre Wärme fallen ließ. Ihr ganz besonderer Geruch erfüllte meine Nase, ein Duft, der immer wohltuend wirkte, wie die Hand der Göttin auf meiner Stirn. Wie sie es bei Alexandros getan hatte, küsste Mutter mich auf die Stirn und hielt meine Wangen zwischen ihren weichen Händen.
»Geht es dir gut?«, flüsterte sie, als ich einen Schritt zurücktrat. »Hat man dir auch nichts getan?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Man hat mir gesagt, dass du im Raum warst, als dein Vater …«
Mein Kopf schoss in die Höhe und ich schaute sie an. »Es tut mir leid … ich hätte …«, flüsterte ich und spürte die Last von allem, was geschehen war. Die Scham, die Trauer. Ich hätte ihn aufhalten müssen. Wenn ich mich nur früher bewegt hätte … ich hätte ihn aufhalten können!
»Mach dir keine Vorwürfe, meine Tochter! Die Götter haben unser Schicksal seit Langem vorherbestimmt. Ich bin froh, dass du dich verabschieden konntest. Es war … Diese Dinge sind wichtig …«
Meine Augen wanderten zu Ptoli hinüber. Vielleicht benahm er sich deswegen manchmal so, als hätte er vergessen, dass Tata tot war?
»Man hat mir gesagt, dass Octavian euch nach Rom bringen will, aber dass er euch nichts antun will«, sagte Mutter mit leiser Stimme, als wollte sie nicht, dass jemand anders es mitanhören konnte.
»Rom! Ich will aber nicht nach Rom!«, flüsterte ich und folgte damit ihrem Beispiel. Trotz aller gegenteiliger Anzeichen hatte ich immer noch gehofft, dass es Mutter irgendwie auf wundersame Weise gelingen würde, uns und Ägypten zu retten.
Mutter blickte mir tief in die Augen und einen Augenblick lang spürte ich die Kraft und das Gewicht ihres Horus-Blickes. Es jagte mir Angst ein und trotzdem wurde mir leicht ums Herz. »Hör gut zu«, flüsterte sie. »Ich habe hier und in Rom viele Getreue, die für eure Sicherheit sorgen werden. Ihr werdet sie als die Anhänger der Isis erkennen. Sobald wir Kontakt zu Caesarion in Indien aufnehmen können, werden wir einen Weg finden, wie wir dich und deine Brüder zu ihm bringen können. Verstehst du? Wir müssen uns scheinbar in unser Schicksal fügen und euch dann zusammenführen, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen ist.«
Ich nickte. Mutter hatte einen Plan! Natürlich hatte sie das. Ihr Netzwerk von treuen Anhängern würde uns nicht im Stich lassen. Ich lächelte ihr zu, Erleichterung durchströmte jedes Atomos meines Seins. Mutter würde zusammen mit uns nach Indien gehen. Wir würden wieder vereint sein! Am Ende würde alles gut werden.
Mutter lächelte zurück, und ich sah den Funken, der das Feuer in ihren Augen entzündete. Nichts, was sie hätte sagen oder tun können, hätte mir mehr Mut gemacht als dieses kleine Aufblitzen.
In diesem Augenblick kam ein Römer hereingestürzt. »Wer hat es gewagt, die Kinder zu dir zu lassen, bevor Caesar nach ihnen geschickt hat?«, brüllte er.
~ Kapitel 11 ~
Der Mann – kräftig, untersetzt und mit einer breiten Stirn – machte ein bitterböses Gesicht. Er trug einen reich verzierten Brustpanzer und sein roter Umhang war aus kostbarem Stoff gefertigt. Wer immer er war, er war sehr mächtig. War dies der Mann, der für den Tod meines Vaters verantwortlich war – Octavian?
Mutter bedeutete mir, dass ich mich wieder zu meinen Brüdern stellen sollte, dann richtete sie den Blick auf den Mann. »Aber warum solltest du, Marcus Agrippa, so grausam sein, einer Mutter ein paar wenige vertraute Augenblicke mit ihren Kindern zu verweigern – Kinder, die man mir, wie ich hinzufügen möchte, seit Wochen nicht zu sehen erlaubt hat.«
Also war es nicht Octavian, sondern Agrippa, der Feldherr, der Vater in die Falle gelockt hatte. Innerlich freute ich mich über Mutters sarkastischen Tonfall. Sie hatte keine Angst vor ihm! Körperlich mochte sie gelitten haben, doch ihr Geist war nicht gebrochen.
Ein klein gewachsener, junger Römer, der einen noch kunstvoller verzierten Brustpanzer und einen
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