Mondmilchgubel Kriminalroman
völlig verdrängen.«
»Ja, wenn alle Sicherungen gleichzeitig durchbrennen. Was dann?«
Kapitel 17
Das Gewitter hat sich in der Nacht entladen und viel Regen gebracht. Es regnet noch immer, als Kari Honegger und sein Cousin Viktoria aus dem Schlaf klingeln und ihr eine Schachtel Eier in die Hand drücken. Die beiden haben es eilig. Den Körper leicht nach vorn geneigt, den Kopf gesenkt, fahren Kari und sein Cousin in ihren gelben Ölmänteln davon. Etwas stört sie, aber was?
Sie kann sich nicht zu ihrem üblichen Morgenritual aufraffen. Nicht einmal duschen mag sie. Das emotionale Tief hat sich bereits beim Aufwachen angekündigt. Jetzt hilft nur noch Ablenkung. Ablenkung durch Arbeit. All die Jahre versuchte sie, eine clevere und erfolgreiche Frau aus sich zu machen, und vergaß dabei, spielerisch und total zu sein. Und jetzt, denkt sie verzweifelt, bin ich ausgeleiert und verbraucht. Was nützt es, an die Schönheit der inneren Werte zu glauben, wenn letztendlich doch immer das Vordergründige, die Jugend, gewinnt.
Sie nimmt sich die Kolumne über Sterbehilfe vor. Dieser Artikel wirbelte damals viel Staub auf, weil sie dafür plädierte, dass jedem Menschen gesetzlich das Recht eingeräumt werden sollte, selbst über seinen Tod entscheiden zu dürfen. Das Thema hat an Aktualität nichts eingebüßt. Ein tröstlicher Gedanke.
In ihrer jetzigen Verfassung empfindet sie es plötzlich als Nachteil, dass sie an keinen fixen Zeitrahmen mehr gebunden ist. Früher arbeitete sie am effizientesten, wenn sie unter Zeitdruck stand. Sie ertappt sich dabei, wie sie immer wieder aus dem Fenster starrt und den offenen Fragen nachhängt, die Iris’ Tod aufgeworfen hat.
Gegen Mittag gehen die starken Regenfälle in einen Landregen über. So sehr sie sich Regen gewünscht hat, so sehr wünscht sie sich jetzt, dass die Sonne die Landschaft wieder zum Leben erweckt. Der Hunger treibt sie in die Küche. Sie öffnet den Kühlschrank, überlegt, wann sie das letzte Mal Spaghettini gegessen hat.
Sie lässt den Knoblauch unter Umrühren im Olivenöl anschwitzen, bis er zartgelb ist. Dann gibt sie gehackte Anchovis hinein und zerdrückt sie mit einem Holzlöffel zu einer Paste. Just in dem Moment, wie sie die Flaschentomaten beifügen will, klingelt das Handy. Möller kündigt seinen Besuch an. Ihre Einladung zum Essen schlägt er aus. Salz, Pfeffer, Paprika und ein bisschen Honig, und fertig ist die Sauce, die nun leicht und stetig vor sich hin köchelt. Sie denkt an Lucien, der früher immer das Kochen übernommen hat.
Viktoria bittet Möller mit einer knappen Begrüßung herein.
Er erkundigt sich nach ihrem Befinden.
»Ich habe mir das Knie verstaucht.«
»Wann?« Er mustert sie eingehend.
»Gestern.«
»Schlimm?«
»Schlimm genug.«
»Es riecht gut hier.«
»Setzen Sie sich.« Sie zeigt auf den gedeckten Tisch. »Keine Fragen, bevor wir gegessen haben.«
Er gehorcht widerstandlos.
Sie serviert ihm einen Blattsalat, den sie mit gerösteten Baumnüssen und frischen Kräutern angereichert hat. Dann holt sie aus der Küche eine Flasche Wein und zwei Gläser. Wie sie die Spaghettini servieren will, zwängt sich Sphinx mit einer zappelnden Maus durch die Klappe, die sie eigens für ihn an der Haustüre hat anbringen lassen. Mit erhobenem Schwanz stolziert er auf sie zu und legt ihr die Beute vor die Füße. Diesen Moment nützt die Maus. Wusch, ist sie unter dem Sofa verschwunden. »Maus hin oder her, jetzt wird gegessen.« Sie schubst den Kater zur Seite, der ihr unhöfliches Gebaren mit einem beleidigten Blick quittiert.
Möller zeigt seine Begeisterung für das Essen, indem er herzhaft zulangt. Während Lucien die Angewohnheit hatte, das Essen hinunterzuschlingen, isst er bedächtig. Er fragt sie nach den Zutaten der Sauce. Den Wein rührt er nicht an. Nach dem Essen serviert sie ihm einen Espresso, bittet ihn, es sich auf dem Sofa bequem zu machen. Dass er so selbstverständlich Luciens Sessel beansprucht, bringt sie etwas durcheinander. Die langen Beine lässig übereinandergeschlagen, wartet er auf sie. Genau wie Lucien damals. Erst jetzt fällt ihr auf, dass sein Gesicht unrasiert und sein Hemd zerknittert ist.
»Haben Sie das Haus selber renoviert?«, fragt er interessiert.
»Wo denken Sie hin. Dafür gibt es Handwerker. Nun, ich hoffe, dass Sie dieses Mal mit guten Nachrichten aufwarten.«
»Ich habe gestern Abend die Laborwerte der DNA-Analyse bekommen. Leider hat sie wenig gebracht. Iris Brunners
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