Mondnacht - Mordnacht
sagte sie: »Ja, Mummy, das sind wir. Ein Team, und ich verspreche dir auch, daß ich immer auf dich achten werde.«
Dinah Hutton schluckte.
Dieses Versprechen aus dem Mund eines Kindes zu hören, verwirrte sie schon. Diese Worte hätten besser zu einem Erwachsenen gepaßt.
Aber Simone war eben etwas altklug, das kam immer wieder zum Ausdruck.
»Es ist schön, daß du das sagst.«
»Ich meine das auch so.«
»Gut, mein Schatz. Wir sind beide satt, es hat uns gut geschmeckt, was machen wir jetzt?«
»Ich möchte ins Bett.«
Diese Eröffnung überraschte Dinah. Sie schüttelte den Kopf und zwinkerte mit den Augen. »Habe ich richtig verstanden? Du möchtest ins Bett?«
»Ja.«
»Warum?«
»Nur so.«
»Möchtest du wegen morgen allein sein?«
»Ja.«
»Gut, das verstehe ich.«
Simone stand auf, lief zu ihrer Mutter, umarmte sie und bedankte sich noch einmal für alles.
Dinah wußte nicht, wie ihr geschah. Aber sie hatte sich schon etwas an das unnatürliche Verhalten ihrer Tochter gewöhnt, so daß es ihr mittlerweile natürlich vorkam. Und sie wußte auch, daß Simone, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, es auch durchführte. Vom Gegenteil ließ sie sich nicht überzeugen.
Wie jeden Abend verschwand Simone im Bad. Im Nachthemd kehrte sie wieder zurück und ließ sich von ihrer Mutter in ihr Zimmer bringen.
Es war mädchenhaft und zugleich im Laura-Ashley-Stil eingerichtet.
Das Bett erinnerte mehr an eine Puppenwiege. Die beiden Stühle waren mit bunten Polstern überzogen, und auch die Tapete an den Wänden zeigte ein Blumenmuster. Gehäkelte Borde hingen außen an der Schrankwand, Puppen hatten überall ihren Platz gefunden, nur etwas zerstörte diese heimelige Stimmung.
Es war das gerahmte Poster an der Wand. Simone hatte darauf bestanden, daß es aufgehängt wurde, und ihre Mutter hatte dem Drängen schließlich nachgegeben.
So hing dieses düstere Bild dort. Es zeigte einen Wolf, der aussah, als wollte er aus dem Bild und direkt auf den Betrachter zuspringen.
Ein sehr großes Tier mit einem braunen, zottigen Fell. Die aufgerissene Schnauze ließ eine Reihe scharfer Zähne erkennen, die wie Messer in den beiden Kiefern hervorragten.
Das Bild war sehr düster, was nicht allein am Wolf lag, sondern auch an dem nebligen Hintergrund, in dem die kahlen Bäume wie unter einem seichten Tuch verschwanden.
Wie immer starrte Dinah das Bild an und kriegte dabei eine Gänsehaut.
»Dir gefällt es noch immer nicht, Mummy, wie?«
»Nein.«
»Aber ich liebe es.«
»Das weiß ich. Nur frage ich mich, wie ausgerechnet du dir ein derartiges Bild aufhängen kannst. Das will mir nicht in den Kopf. Du bist nicht der Typ und…«
»Es ist aber wichtig für mich.«
»Warum?«
»Später, Mummy, wirst du es begreifen.«
Dinah Hutton drehte den Kopf, um ihre Tochter anzuschauen. Wieder einmal erschrak sie über den kalten Glanz in ihren Augen, der tatsächlich Ähnlichkeit mit dem des Wolfes auf dem Bild auswies. Er war so hell, so anders, ohne Gefühl, wie Glas, und die Frau kam überhaupt nicht damit zurecht.
Sie hatte sich schon oft gegen ihre eigenen Gedanken gewehrt, aber sie kehrten immer wieder zurück. Dinah befürchtete, daß Simone ein schreckliches Geheimnis bewahrte, mit dem sie erst später, viel später herausrücken würde.
Sie war inzwischen zu Bett gegangen. Fast fröhlich rief sie Dinah zu:
»Kriege ich keinen Gute-Nacht-Kuß?«
»Entschuldige, aber das Bild hat mich abgelenkt.«
»Ich nehme es auch mit in die neue Wohnung.«
»Ja, das kannst du. Es ist ja dein Zimmer.« Dinah beugte sich über ihre Tochter und hörte deren geflüsterte Antwort.
»Es ist mein Freund, mein bester Freund. Daran solltest auch du denken, Mummy.«
»Das tue ich doch.«
Simone bekam drei Küsse. Zwei auf die Wangen und den dritten auf den Mund.
Dinah deutete auf die Lampe mit dem bunten Schirm. »Soll ich das Licht noch brennen lassen?«
»Ja, das wäre gut.«
»Dann schlaf gut deinem neuen Lebensabschnitt entgegen.«
»Mach ich, Mummy.«
Dinah sah beim Verlassen des Zimmers das lächelnde Gesicht ihrer Tochter. Es war nicht der Tür zugewandt, sondern der Wand gegenüber dem Bett, wo das Bild mit dem Wolf hing. Simone schien sich regelrecht dort hineinversetzt zu haben, als wollte sie in den düsteren Nebel im Hintergrund eintauchen.
Leise schloß Dinah die Tür. Sie war in Gedanken versunken. Wieder stieg das Bild aus ihrer Erinnerung hervor, daß sie schon einmal gesehen hatte.
Der
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