Mondnacht - Mordnacht
normalen Lauf nehmen würde. Ab heute war alles anders.
Und Simone?
Dinah rief sich das Bild wieder in ihre Erinnerung. Simone hatte an der Hauswand gesessen. Sie hatte das Blut getrunken, und sie hatte ihre Zähne sogar noch in das warme Fleisch geschlagen. Das alles schien ihr großen Spaß bereitet zu haben. Sie hatte sich benommen wie eine Person, die ihren Hunger und auch ihren Durst stillen wollte. Hunger nach Heisch und Durst nach Blut.
Am Himmel hatte sie einen Wolf gesehen. Im Zimmer hing das Bild eines Wolfes.
Und Simone?
Konnte es sein, daß sie etwas mit einem Wolf zu tun hatte und vielleicht sogar auf dem Weg dazu war, ein derartiges Tier zu werden?
Der Gedanke daran erschreckte sie, und die Vorstellung dessen wühlte sich wie eine glühende Stahlklinge in ihren Leib. Dinah wollte etwas unternehmen. Doch was? Es paßte einfach nicht. Sie war zu schwach, und sie durchschaute die Zusammenhänge nicht.
Dennoch faßte sie einen Entschluß.
Dinah entschloß sich, ihrer Tochter nichts von ihrer Entdeckung zu sagen. Und die würde sie auch nicht auf die Blutspuren ansprechen, die sicherlich auf der Kleidung zurückgeblieben waren. Deshalb nahm sich Dinah vor, jede Ausrede zu akzeptieren. Außerdem befürchtete sie, sich dabei selbst in Gefahr zu bringen. Das wollte sie auf keinen Fall.
Nur hatte Simone morgen ihren ersten Schultag. Ob die anderen Kinder oder Lehrpersonen jemals erfahren würden, wer da zwischen ihnen saß?
Wen sie unterrichteten?
Es war ihr heute egal. Ändern konnte sie daran nichts. Das stand fest…
***
Fünfzehn Jahre später!
Es war alles scheinbar normal verlaufen. Eine allein erziehende Mutter lebte mit ihrer Tochter in einer Eigentumswohnung, und die Tochter hatte sich zu einer sehr hübschen jungen Frau entwickelt, die von den Männern umschwärmt wurde wie eine Blüte von den Bienen.
Viele Frauen wären froh gewesen, dieses ›Schicksal‹ erleiden zu können, nicht aber Simone Hutton. Sie hatte alle Versuche der Männer abgewehrt, sie hatte sich verstockt gezeigt, die anderen brüskiert, sie wohl hin und wieder angemacht oder sich mit ihnen auf einen Flirt eingelassen, aber zu mehr war es nicht gekommen.
Immer wieder hatte sie es verstanden, sich aus der jeweiligen Lage herauszuwinden, und es hatte auch keiner der Typen versucht, sie mit Gewalt zu nehmen. Sie hatten alle nur in ihre Augen geschaut und dort einen Blick erlebt, der sie warnte und zugleich erschaudern ließ.
Bis hierher und nicht weiter!
Dinah Hutton hatte das Erlebnis in der alten Wohnung zwar nicht vergessen, es aber verdrängt. Sie hatte Simone auch nie darauf angesprochen, es wäre ihr peinlich gewesen, und das Blut später auf dem Nachthemd war ausgewaschen worden. Simone hatte von eigenen Verletzungen gesprochen, die sie sich mit den Fingernägeln im Traum zugefügt hatte.
An diesem Freitag wollte Simone wieder in die Disco. Dafür angezogen war sie. Simone liebte die Farbe Schwarz über alles – weil sie zu ihrem schwarzen Haar paßte, wie sie immer sagte.
Deshalb trug sie eine enge, schwarze Hose und ein ebenfalls schwarzes Oberteil. Es lag sehr eng an ihrem Körper, so daß sich die Brustwarzen durchdrückten. Eine Weste trug Simone ebenfalls. Das Material war aus weichem Nappaleder, und auf den beiden Vorderseiten hatte jemand Wolfsköpfe in das Material eingeritzt und die eingedrückten Umrisse mit einer gelben Farbe bestrichen.
Simone stand vor dem Spiegel im geräumigen Flur und kämmte ihr langes Haar. Sie war ziemlich früh von der Uni zurückgekehrt, hatte etwas geschlafen und fühlte sich jetzt fit für den Abend.
Im Spiegel entdeckte sie die Gestalt ihrer Mutter. Die letzten zwanzig Jahre waren nicht spurlos an der Frau vorübergegangen. Die Haare hatten einen eisgrauen Farbton bekommen, im Gesicht zeichneten sich ebenfalls die Spuren des Lebens ab, aber für Simone war Dinah noch immer die schönste Frau der Welt. Sie wußte sehr genau, was sie ihr zu verdanken hatte.
Als Dinah ihre Tochter fast erreicht hatte, legte Simone die Bürste zur Seite und drehte sich um. »Hi, Mummy.«
»Hallo, Tochter.«
Simone küßte Dinah auf beide Wangen. »Wir haben uns ja heute noch nicht gesehen. Wie war dein Tag?«
»Es ging.«
»Arger?«
»Nicht mehr als sonst, aber der Firma geht es nicht so gut. Sie rutscht wohl auch ab. Wie es aussieht, werden sich Entlassungen wohl nicht vermeiden lassen.«
»Auch du?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin immerhin über Fünfzig.«
»Aber du bist doch
Weitere Kostenlose Bücher