Mondnacht - Mordnacht
sie fürchtete sich vor diesem Wesen. Für sie war es plötzlich zu einem kleinen Monster geworden, zu einem winzigen Terror-Teufel, den man am besten weggab.
Sie spielte tatsächlich mit dem Gedanken, Simone irgendwo auszusetzen, aber das wollte sie dann doch nicht und konnte es auch nicht übers Herz bringen. Irgendwo waren sie und die Kleine Partner.
Beide gehörten zu den Ausgestoßenen auf der Welt. Beide hatten keine Heimat, keine Freunde. Sie schienen verdammt zu sein, einen Pakt zu schließen.
Dinah nickte dem Baby zu, bevor sie mit ihrer Hand über die Wangen streichelte. Simone tat die Berührung gut, denn sie fing an zu lächeln, aber nicht zu beißen.
Es war ein Zeichen für Dinah Hutton, das sie sehr genau verstanden hatte.
»Gut«, sagte sie. »Gut, meine Kleine. Du hast mir gezeigt, wo es langgeht. Ich weiß Bescheid. Keine Angst, ich werde dich nicht im Stich lassen. Wir beide werden uns schon durchschlagen, das verspreche ich dir. Ich bin jetzt stark geworden, und du wirst ebenfalls in meine Fußstapfen treten. Wir schaffen es, das verspreche ich dir…«
Als hätte Simone die Worte genau verstanden, zog sie ihre Lippen in die Breite und lächelte.
Zum erstenmal sah Dinah die Zähne des Kindes.
Sie waren schon alle da.
Und sie waren spitz wie kleine Messer…
***
Sechs Jahre später!
Alles war anders gekommen, als Dinah es sich vorgestellt hatte. Sie war damals nicht mit dem Kind zusammen in das Frauenhaus gefahren, sondern hatte sich in den folgenden Tagen in einer kleinen Pension am Stadtrand von London verkrochen, wo auch nicht zu viele Fragen gestellt wurden. Bezahlen konnte Dinah, das war wichtig, und sie hatte einen Stützpunkt, von dem aus sie ihre nächsten Aktivitäten vorbereiten konnte.
Sie brauchte einen Job.
Den fand sie rasch. In einer kleinen Fabrik, die Eisenwaren verarbeitete, suchte man eine Person für die Verpackung. Dinah nahm den Job an, bezog eine andere Wohnung, und sie ließ ihr Kind tagsüber allein.
Zuerst hatte sie deshalb Gewissensbisse gehabt, aber schon nach kurzer Zeit spürte sie, daß sich Simone auch ohne Aufsicht der Mutter recht wohl fühlte. Nicht nur durch ihr Äußeres wirkte sie irgendwie erwachsen, sondern auch durch ihr Verhalten, über das sich Dinah natürlich freute und sich keinerlei Gedanken machte.
Die Kleine wuchs heran, und auch Dinah ging es bald besser. Man hatte festgestellt, daß sie ihren Job gut machte und sorgfältig arbeitete.
Deshalb war sie zuerst zur Vorarbeiterin befördert worden, kam dann ins Büro und übernahm dort die Aufgabe einer Sekretärin, nachdem sie durch einige Kurse geschult worden war.
Es ging ihr gut, das war ihr auch anzusehen. Nichts war mehr von der Dinah Hutton übriggeblieben, die Hals über Kopf ihren Mann und das Dorf verlassen hatte. Sie war zu einer modernen Frau geworden. Sie trug auch moderne Kleidung, und sie hatte sich einen anderen Haarschnitt zugelegt.
Beiden ging es gut. Simone entwickelte sich prächtig. Aus dem häßlichen Entlein war ein normales Kind geworden, das kurz vor der Einschulung stand.
Die spitzen Zähne hatten sich verwachsen, auch wenn sie nicht völlig verschwunden waren, doch das nahm Dinah als eine Laune der Natur hin. Simone hatte dunkle Haare bekommen und sie lang wachsen lassen. So sah sie wirklich reizend aus, besonders deshalb, weil sie auch die entsprechende Kleidung trug. Nett, lieb, mädchenhaft. Sie zog lieber Röcke als Hosen an, war freundlich zu allen und glich jetzt immer mehr den lieben Kindern auf den Werbeprospekten.
Es war der Abend vor ihrem ersten Schultag, als Dinah Hutton ziemlich geschafft von der Arbeit nach Hause zurückkehrte. Sie hatte zudem noch eingekauft und dachte daran, daß sie ihrer Tochter versprochen hatte, am Abend nicht wegzugehen. Beide wollten zu Hause bleiben und den Beginn des neuen Lebensabschnitts feiern.
In der ersten Wohnung lebten sie noch immer. Nur sah die jetzt anders aus. Dinah hatte sie hell streichen lassen, sie mit ebenfalls hellen Möbeln bestückt. Das krasse Gegenteil zu der Welt, der sie entflohen war. Und von ihrem Mann hatte sie nichts mehr gehört. Vielleicht war er schon tot.
»Bist du da, Simone?«
»Ja, in meinem Zimmer.«
»Okay.«
Simone kam, als ihre Mutter den Mantel abstreifte. Das Kind lief in die ausgebreiteten Arme seiner Mutter, ließ ich drücken und liebkosen, wobei es sich darüber beschwerte, daß Dinah so spät gekommen war.
»Ich weiß, mein Schatz, aber es ging wirklich nicht anders.
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