Mondnacht - Mordnacht
gerichtet. Ihre Augen bekamen einen träumerischen Ausdruck, und sie lächelte, als sie den Mond sah.
Ein guter Freund war er. Nein, mehr als das. Sie sah ihn schon als einen Beschützer an. Er würde seine ›Hand‹ über sie halten, damit ihr nichts geschah.
Der Bus stoppte nahe eines großen Einkaufszentrums. Künstliches Licht fiel durch die Scheiben und auf die Fahrgäste, die plötzlich blaß aussahen.
Mehrere Personen stiegen ein. Unter ihnen auch drei junge Erwachsene, die zu den Rappern gehören mußten, denn sie konnten nie ruhig auf dem Fleck stehen. Lärmend gingen sie durch den Gang, bewegten sich im Takt und visierten die letzte Sitzreihe an.
Simone schaute den Gestalten entgegen. Ihr Outfit entsprach den Haaren, die allesamt kurzgeschnitten, aber gefärbt waren. Bei dem einen tiefschwarz, beim zweiten sehr hell und beim dritten grünlich. Gepierct waren sie auch. Ringe an Ohren, Nasen und Lippen.
»Oh, wen haben wir denn da?« rief der Typ mit den schwarzen Haaren.
»Die ist ja super.«
»Sogar für uns drei«, bellte der Helle grinsend.
Simone sagte kein Wort. Sie rückte nicht mal zur Seite. Sie schaute die drei Typen nur an, und ihr Blick sprach dabei Bände. In den Augen schien dunkles Eis zu liegen, und das genau merkten die drei Fahrgäste.
Sie wurden plötzlich still. Sie sahen aus, als fühlten sie sich unwohl in der Gegenwart der jungen Frau. Und plötzlich zogen sie sich zurück.
Zuerst setzte sich der Knabe mit den grünen Haaren. Er johlte dabei den Refrain eines Hits, wohl mehr, um sich von der normalen Situation abzulenken. Auch die anderen beiden verzogen sich, wobei es der Schwarzhaarige aber nicht lassen konnte, seine Hand zu heben und den Mittelfinger in die Höhe zu strecken.
Simone verstand das Zeichen, aber sie reagierte nicht darauf. Es war ihr egal, was die Kerle dachten.
Sie blieb ruhig sitzen und störte sich auch nicht an den lautstarken Unterhaltungen der Kerle. Ihre Gedanken drehten sich in eine ganz andere Richtung. Dabei bewegte sie irre Nase, schnupperte, schien Blut zu riechen. Dieses Gefühl regte Simone auf. Unruhig rutschte sie dabei auf der Sitzbank hin und her. Ihre Hände bewegten sich ebenfalls. Mal waren sie zu Fäusten geschlossen, im nächsten Moment wieder gestreckt.
In dieser Nacht würde sie ein Opfer finden, das stand fest. Sie mußte es einfach tun. Auch war die Nacht entscheidend für ihre weitere Existenz.
Lange genug hatte sie sich zurückhalten müssen. Nun war der Zeitpunkt gekommen. Sie würde auf keinen Fall mehr ihr wahres Ich unterdrücken.
Sie würde weitermachen oder jetzt erst richtig anfangen, denn es war einfach ihr Schicksal, und sie war demjenigen etwas schuldig, der sie vor langen Jahren ausgesetzt hatte.
Simone hob die Schultern. Die Haut spannte sich. Der Druck im Mund war ebenfalls vorhanden. Sie hatte das Gefühl, als würden ihre Zähne wachsen.
Unruhe geisterte durch ihren Körper, in dem sich ebenfalls die Kälte und die Hitze ablösten, wobei die Hitze überwog. Heißes Blut.
Bald würde es kochen…
Simone war an die Seite gerutscht und hatte mit dem Gesicht die Scheibe berührt. Von außen hätte sie ausgesehen wie ein Schatten hinter Glas.
Manchmal atmete sie sehr tief ein. Dabei entstand ein knurrendes und leicht gurgelndes Geräusch in ihrer Kehle. Ein Vorbote der Verwandlung.
Die Innenseite der Scheibe beschlug, wenn der Atem sie erwischte.
Einmal zuckte die Zunge wie ein schmal gewordener Klumpen vor und fuhr über das Glas hinweg.
Sie kannte die Umgebung dieses Londoner Vorortes. Häuser, Kneipen, Geschäfte, auch eine Disco, die allerdings etwas abseits lag, in einem Industrieviertel; dort störte die laute Musik nicht.
An der nächsten Haltestelle mußte sie raus. Die drei Typen waren schon vorher ausgestiegen. Simone hatte es nicht mitbekommen. Sie war zu sehr in ihrer eigenen Welt gefangen gewesen.
Der Bus stoppte.
Endstation!
Alle Fahrgäste erhoben sich. Zumeist junge Leute, die ebenfalls in die Disco wollten, deren Schrift weithin zu sehen war. Die Buchstaben leuchteten wie Blut, und sie schienen in der Dunkelheit zu schweben und nicht an einer dunklen Fassade angebracht worden zu sein.
Als letzte verließ Simone den Bus. Die Luft war nicht nur kalt, sondern auch feucht geworden. Wie ein dünner Schleier lag die Feuchtigkeit in der Luft, und sie drückte sich auch dem Himmel entgegen, denn bei einem Blick dorthin sah Simone den Mond nicht mehr so klar. Er war leicht verschwommen.
Sie
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