Mondnacht - Mordnacht
super in deinem Beruf.«
»Das schon, aber zu alt.«
»Unsinn.«
»Egal, wir werden es schon schaffen, Simone. Wir beiden haben ja alles geschafft.«
»Das will ich wohl meinen.« Dinah schüttelte den Kopf. »Was ist los, Mummy?«
»Ach nichts, mein Kind. Nur wenn ich dich so anschaue, muß ich sagen, daß du wirklich zu einer Schönheit geworden bist. Ja, du bist wunderschön, Simone.«
»Unsinn, das sagst du nur so.«
»Nein, ich meine es ernst. Und wenn du heute abend in der Disco bist, wird es dir auch bestätigt werden.«
»Kann schon sein.«
»Und wann, Simone, wirst du deinen ersten Freund mit nach Hause bringen?«
Plötzlich lachte sie auf. »Einen ersten Freund? Nein, nein, das wird noch dauern, wenn überhaupt. Wir beide sind doch da, und wir haben versprochen, uns gegenseitig zu versorgen. Ich zumindest habe nicht vor, mein Versprechen zu brechen.«
Dinah verdrehte die Augen. »Ich bitte dich, Kind, du kannst doch dein Leben nicht nach mir ausrichten.«
»Warum nicht?«
»Du bist jung, ich bin schon eine alte Frau…«
»Hör doch auf, Mummy. Nein, nein, mir geht es gut, und ich komme auch mit meiner Mathematik und Physik gut voran.«
»Ja, Simone, du warst schon immer eine hervorragende Schülerin.«
»Du hast mich auch unterstützt.«
»So arg war das nicht.«
Simone schaute auf die Uhr. »So, jetzt muß ich aber gehen. Ich werde ein paar Studienkollegen treffen. Wahrscheinlich gehen wir noch eine Kleinigkeit essen. Der Mexikaner ist angesagt. Nachos sind in.«
»Brauchst du noch Geld?«
»Nein, das brauche ich auch nicht, und ich lasse auch deinen Wagen stehen, Mutter.«
»Soll ich dir denn etwas in den Kühlschrank stellen, falls du noch in der Nacht Hunger hast?«
»Nicht nötig, wir werden schon satt.«
»Tja.« Dinah breitete die Arme aus. »Dann kann ich meiner Tochter nur viel Spaß wünschen.«
»Danke, Mutter.« Simone hauchte ihr einen Kuß auf die Wange, ging zur Garderobe, lupfte die dunkle Lederjacke vom Haken, schwang sie über den Kopf und schlüpfte hinein.
»Bis später, Mum.«
»Ist schon gut.«
Dinah brachte ihre Tochter noch bis zur Tür. Ihre Wohnung lag in einem vierstöckigen Haus, in Parterre. Damals war es ein Neubaugebiet gewesen, aber zu dieser Zeit auch nicht mehr. Trotzdem gehörte die Lage zu den guten Adressen, und eine Bushaltestelle befand sich nur wenige Schritte entfernt.
Auf diesen Haltepunkt lief die junge Frau zu. Sie wußte, daß ihre Mutter in der offenen Tür stand, das tat sie fast immer, und deshalb winkte Simone ihr auch zu.
Dinah nahm die Bewegung kaum wahr. Ihr Blick war zum Nachthimmel gerichtet, wo sich wie ein helles Loch der bleiche Vollmond abzeichnete.
Wieder war Vollmond. Dinah Hutton schauderte zusammen, als sie daran dachte.
Ein böses Omen…
***
Simone Hutton hatte ihre Mutter belogen. Nicht mit dem Besuch in der Disco, die Lüge bezog sich vielmehr auf das Treffen mit ihren Freunden, was nicht stimmte. Sie würde sich nicht mit den Leuten von der Uni treffen, sie wellte allein in die Disco gehen. Es wurde Zeit, denn sie spürte bereits die Erregung. Ihr Blut schien sich auch erwärmt zu haben.
Auf den Bus brauchte sie nicht lange zu warten. Sie hatte die Abfahrtszeiten im Kopf. Nicht mal zwei Minuten stand sie an der Haltestelle, bis das Fahrzeug kam.
Der Fahrer verdrehte den Kopf, um die hübsche Frau ansehen zu können. Sie stieg als einzige hier ein. Der Bus selbst war nur zu einem Drittel besetzt. So konnte sie sich den Platz aussuchen und entschied sich für die letzte Reihe, wo sie schon vor einundzwanzig Jahren als Baby gelegen hatte. Das jedenfalls wußte sie von ihrer Mutter, die oft genug darüber gesprochen hatte.
Sie saß allein in der Reihe, streckte die Beine in den Gang und versuchte, sich zu entspannen. Es wollte Simone nicht gelingen. Es war alles anders geworden. Das alte Erbe in ihr machte sich bemerkbar. Sie verfolgte das Prickeln in ihren Adern, das einfach nicht aufhören wollte, und sie wußte auch, woran das lag.
Es war ihre Nacht, denn am Himmel stand der Vollmond. Für Simone sehr wichtig. Wenn sie je einen Freund gehabt hatte, dann war er es. Er gab ihr die Kraft, die Stärke, und sie litt, wenn er verschwunden war.
Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte der volle Mond immer am Himmel stehen können, aber sie konnte den Lauf der Welt leider nicht beeinflussen.
Der Bus fuhr seine vorgeschriebene Strecke, und Simone schaute dabei aus dem Fenster. Der Blick war schräg zum Himmel
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