Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Dunkelheit davon.
„Na toll“, murmelte Lisandra, die sich nun, ohne etwas zu sehen, von Wand zu Wand und von Durchgang zu Durchgang tasten musste. Auf diese Weise würde sie in zehn Jahren nicht an die Erdoberfläche zurückfinden.
Sie orientierte sich einzig und allein an dem Brummgeräusch und kam diesem Schritt für Schritt näher. Manchmal hörte es sich an wie ein Pochen, gleich einem überdimensionalen Herzschlag, dann wieder glich es einer anhaltenden Erschütterung, so als wühlte sich ein gigantisches Tier unter der Festung hindurch. Je länger Lisandra im Dunkeln unterwegs war, desto weniger glaubte sie, dass das Geräusch von einer Maschine ausgelöst wurde. Es war zu unregelmäßig und glich doch zu sehr dem nächtlichen Vibrieren, das der Gefangene auslöste. Was bedeutete, dass Lisandra sich zu seinem Kerker vortastete. Diese Erkenntnis brachte sie zum Stehen.
„So ein Mist!“, rief sie. „Das Gefängnis wird der einsamste, versteckteste und am schwersten zugängliche Ort der ganzen Festung sein! Lisandra, du Idiot!“
Bis jetzt hatte Lisandra ihr Abenteuer eher locker genommen. Sie war inzwischen abgehärtet und machte sich nicht wegen jeder Kleinigkeit in die Hose. Doch gerade wurde ihr ein bisschen unwohl zumute. Wie sollte sie hier jemals wieder rauskommen?
Nachdenken. Ruhig bleiben. Das hatte sie doch inzwischen gelernt. Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und versuchte ihre Situation so nüchtern wie möglich zu betrachten: Sie befand sich im Labyrinth unter der Festung, in der Nähe von Torcks Kerker. Der bewacht wurde. Und zwar von … genau, das hatte Thuna doch erzählt! Der Wächter von Torcks Gefängnis war Perpetulja, die Schuldirektorin! Die wusste ganz bestimmt, wie man wieder an die Oberfläche kam.
Lisandra erwog, weiterhin dem Brummen zu folgen, bis sie das Gefängnis fand, doch entschied sich dagegen. Schließlich war es möglich, dass das Gefängnis von Wasser umgeben war und Lisandra nie direkt bis an seine Pforte käme. Warum viel Aufwand in Kauf nehmen, wenn man es erst mal mit dem einfachsten Mittel probieren konnte? Lisandra stellte sich hin, holte tief Luft und legte ihre Hände wie einen Trichter an den Mund.
„PER-PE-TUL-JAAAA!“, rief sie, so laut sie konnte. „WO BIST DUUUU?!“
Lisandra lauschte. Ihre Stimme hallte immer noch nach in den vielen, hohlen Gängen und Tunneln. Sie wartete, bis das Geräusch vollends verklungen war und legte dann wieder die Hände an den Mund. Doch noch bevor sie ihren Schrei wiederholen konnte, vernahm sie ein fernes Holpern und Poltern, das langsam näher kam.
„Mal sehen, welches Monster du jetzt angelockt hast, Lissi“, sprach sie zu sich selbst. „Es wird schon schön grässlich sein.“
Lisandra wartete im Dunkeln auf die Überraschung, die da unterwegs zu ihr war, konnte aber bald erleichtert aufatmen, da es die Schildkrötenfrau war, die sie gerufen hatte. Diese trug eine baumelnde Lampe um den dicken Hals und kam auf allen Vieren durch den Gang spaziert, wobei sie Mühe hatte, nicht zwischen den Wänden stecken zu bleiben. Wenn sich Lisandra nicht täuschte, dann grinste die Schildkröte über ihr ganzes großes, unförmiges Gesicht, doch Thuna hatte auch erzählt, dass die Direktorin immer so aussah, als ob sie lachte, weil sie diesen überaus breiten Mund hatte, der ihren Kopf fast in zwei Hälften teilte.
„Liiiisssssandraaaa!“, sagte dieser breite, schlitzförmige Mund und es klang wie das gemütliche Knarren einer alten Schranktür.
„Hallo, Frau Direktorin. Können Sie mir vielleicht sagen, wie ich hier wieder rauskomme?“
„Wennn duuuu mir saaaaaagst, wie duuuuuuu hiiiiiiier reeeeeeeeingekooooommmen bisssst?“
Eindeutig lachte die Schildkröte ihre verirrte Schülerin aus. Dabei wurden ihre Nasenlöcher größer und kleiner und sie prustete wie ein verstopftes Heizungsrohr .
„Ein komisches Krake ntier wollte mich ertränken, ich bin durch eine Mauer geflohen und hier bin ich nun“, erklärte Lisandra. „Eigentlich war ich auf der Suche nach einer silbernen Kröte.“
„Innnnnteeeerrresssssantt!“, sagte die Schildkröte.
Von Thuna wusste Lisandra, dass die Direktorin flüssig sprechen konnte, wenn sie sich unter Wasser befand. Doch sprach sie an der freien Luft, so wie jetzt, dann verließ jedes Wort ihren Mund auf langsame, sehr langsame Weise, die jeden Zuhörer ermüdete. Normalerweise. Heute machte es Lisandra nicht so viel aus.
Perpetulja führte Lisandra kreuz und quer
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