Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Lisandra nicht gerechnet hatte, war die Anwesenheit von Scarlett. Doch Hanns war schneller bei Scarlett als es Lisandra jemals hätte sein können und drückte sein Erstaunen wesentlich deutlicher aus:
„Was machst du-du denn hier?“, rief er aufgeregt. „Hau ab in die Festung!“
Wenn Scarlett vorher einen zaghaften Eindruck gemacht hatte, so war dieser plötzlich wie weggefegt. Sie war entschieden zu stolz, um sich von Hanns so anfahren zu lassen.
„Spinnst du? Glaubst du, ich weiß nicht, was ich tue?“
„Ja, da-das glaube ich! Hier draußen schmilzt der Schnee, Scarlett!“
Damit hatte er nun recht. Der Schnee schmolz in Rekordgeschwindigkeit und der Innenhof schwamm förmlich davon. Auf den Dächern wurden die Schneemassen immer schwerer und nasser und rutschten allmählich Richtung Dachrinnen. Es war aber gar nicht der Schnee, auf den Hanns Scarlett aufmerksam machen wollte, sondern das Wasser, das aus den übervollen Dachrinnen regnete und nach allen Seiten spritzte. Sein Argument – so unverständlich es allen anderen auch vorkommen mochte – war so schlagkräftig, dass Scarlett unter ein Vordach sprang, unter dem es trocken blieb. Außerdem zog sie ihre Kapuze über den Kopf.
„Besser?“, fragte sie Hanns, der ihr unters Vordach gefolgt war.
„Nein!“, sagte er, doch diesmal bemühte er sich, leise zu reden, da sie schon genug Aufmerksamkeit erregt hatten. „Du kannst nicht gegen Wandler kämpfen! Das ist viel zu gefährlich. Du bist nicht immun gegen ihr Gift!“
„Ach, aber du bist immun!“
„Ich kann fliegen und ich kann kämpfen. Kannst du fliegen?“
„Wahrscheinlich schon, aber Gestaltwandel habe ich noch nie ausprobiert!“
„Jetzt wäre auch nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Und schon gar nicht …“, er senkte noch mal die Stimme, „… bei diesen Wetterverhältnissen.“
Er spielte auf Scarletts wunden Punkt an: Sie durfte keine nassen Haare bekommen. In dem Moment, in dem ihre Haare nass wurden, verlor sie all ihre Zauberkräfte. Damit wäre sie praktisch wehrlos und so gut wie tot, wenn sie von einem Wandler angegriffen wurde.
„Ich bleibe drinnen. Ich werde nicht rausgehen.“
„Sie werden nach dir suchen!“
„Ja, aber ich bekomme zwei Maküle, die auf mich aufpassen. Und jetzt hör auf, mich zu bemuttern! Estephaga hat mich darum gebeten und ich habe zugesagt. Fertig, aus! Bei Lisandra machst du kein so ein Theater!“
„Lissi wird es überleben, wie wir beide wissen! Außerdem ist sie eine sehr geschickte Kämpferin. Und sie ist nicht du !“
Hanns’ graue Augen konnten einen sehr intensiv ansehen. Scarlett kam der Verdacht, dass sie vor einem Jahr ein paar Mal zu oft in Hanns’ Augen geschaut hatte, als er diesen Blick angewandt hatte. Dieser Blick hatte etwas Hypnotisches und sie traute ihm durchaus zu, dass er versuchte, sie damit zu beeinflussen. Oder warum hatte sie auf einmal das Gefühl, dass es nichts Wichtigeres für ihn auf dieser Welt gab, als dass sie in Sicherheit sein sollte?
Scarlett wehrte sich gegen diesen Blick, indem sie wegschaute. Hanns würde sie nicht davon abbringen zu tun, worum man sie gebeten hatte. Wann hatte eine böse Cruda schon mal die Gelegenheit, sich als gut zu erweisen? Doch für seinen übertriebenen Beschützer-Anfall war Scarlett Hanns durchaus dankbar. Erstens achtete sie jetzt darauf, dass ihre Haare nicht nass wurden – hier war sie wirklich zu unvorsichtig gewesen. Und zweitens war sie zwischendurch so wütend geworden, dass sie jetzt vor Energie und Tatendrang fast platzte. Es konnte losgehen, sie hatte keine Angst mehr!
Grohann erschien im Innenhof und erläuterte noch einmal, was über die Dämonen, die man die giftigen Wandler nannte, bekannt war. Es war ungefähr das, was Lisandra schon von Hanns und Haul erfahren hatte, und es war genauso ernüchternd. Die Wandler sollten sehr schnell sein und vor allem bissig. Sie wussten um die Wirkung ihrer Bisse und ihres Atems und wenn sie verletzt waren, setzten sie ihr giftiges Blut erschreckend intelligent ein.
Grohann beschwor seine Mitstreiter, einen großen Bogen um tote Wandler zu machen und auch die Bewohner der Festung, wenn die Schlacht vorbei sei, unbedingt vor toten Wandlern zu schützen. Von den verwundeten Dämonen stiegen Dämpfe auf, die alleine, indem man sie einatmete, eine tödliche Wirkung haben konnten.
„Es gibt kein Gegengift!“, verkündete er. „Seid euch dessen immer bewusst.“
Einen giftigen Wandler töte man am besten aus
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