Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
ihnen zu haben. Was Estephaga aber nicht daran hinderte, eine Reihe von Ermahnungen loszuwerden, wie sich die Schüler gegenüber den Makülen verhalten sollten und was sie nicht, niemals und unter keinen Umständen tun durften, nämlich eine Maküle ärgern, sie anfassen, ihre Befehle missachten, über sie reden, sie beschädigen, sie herausfordern oder sie sonst in irgendeiner Weise reizen. Estephaga betonte so nachdrücklich, wie wichtig es sei, diese Regeln zu befolgen, dass sich dem einen oder anderen Schüler der Verdacht aufdrängte, dass sehr wohl Veranlassung bestand, vor den Makülen Angst zu haben. Und zwar eine ganze Menge.
Aber wie gesagt, auch das bekamen Thuna und Maria nicht mit. Als sie ausgeschlafen, frisch gewaschen und gekämmt im Hungersaal aufkreuzten, war der Hauptgang fast aufgegessen und keine beunruhigenden Gestalten waren zugegen – weder Maküle noch Yu Kon, den Estephaga in einem Nebensatz erwähnt hatte („und ihr behandelt ihn am besten wie eine Maküle“) – sodass der Rest des Abendessens all den Mahlzeiten glich, die die Freundinnen schon früher zusammen eingenommen oder, wie in Marias Fall, von sich weggeschoben hatten.
„Nein danke, Lissi, ich werde das nicht essen. Heute kann ich das noch nicht. Du kannst meine Portion gerne haben.“
„Wie geht es deinem Vater, Maria?“, wollte Berry wissen.
Thuna lachte, was mit vollem Mund gar nicht so einfach war, und Maria stöhnte.
„Wir waren eben auf der Krankenstation“, erzählte Maria, „um ihn zu besuchen. Er war aber nicht mehr da. Auf dem Kopfkissen lag ein Brief f ür mich und ratet mal, was drin stand?“
„Dass unsere Krankenstation ein idyllisches Örtchen ist?“, fragte Scarlett.
„Oh nein! Bestimmt hielt er sie für ein idyllisches Örtchen, aber der Brief bestand nur aus einem einzigen Satz: Muss mich beeilen, Täubchen, der Kutschbusfahrer nimmt mich mit zurück nach Quarzburg! “
„Der Kutschbusfahrer?“, rief Scarlett. „ Der Kutschbusfahrer?“
„Nein“, sagte Lisandra, „es war diesmal ein anderer, hat Geicko gesagt.“
„Was macht das für einen Unterschied?“, fragte die aufgebrachte Maria. „Wir schaukeln drei Nächte lang durch die Gegend, damit wir nicht den schlimmen, schrecklichen Kutschbus nehmen müssen – und er fährt jetzt einfach mit dem Kutschbus zurück?“
Lisandra, Scarlett, Thuna und Berry lachten. Alles war wieder so, wie es sein sollte, zumindest an diesem Abend. Nach dem Essen gingen sie wiedervereint in ihr Zimmer 773 zurück und redeten bis tief in die Nacht hinein. Schließlich waren sie alle ausgeschlafen – na ja, fast alle. Lisandra nickte während des Gesprächs ein und träumte, sie läge wieder in dem riesigen Bett im Golden-Zyklopia. Und diesmal, in ihrem Traum, schlief sie darin wie ein Murmeltier.
Kapitel 5: Spiegelverkehrt
Eine Woche verging im gemächlichen Schultrott und niemand verlangte von Lisandra, dass sie bei Yu Kon Unterricht nehmen sollte. Allmählich glaubte sie, dass Viego Vandalez es geschafft hatte, Grohann von dieser dummen Idee abzubringen. Was für eine wirklich dumme Idee es gewesen wäre, sah man den Gesichtern von Hanns und Haul an. Die beiden Jungen verbrachten die Tage außerhalb der Festung und wenn sie dann zum Abendessen im Warmen auftauchten, wirkten sie grenzenlos erschöpft und durchgefroren. Yu Kon schien seinem Beinamen alle Ehre zu machen, denn Hanns von Fortinbrack und Haul, der Gespenster-Leibwächter, sahen nach einer Woche so aus, als habe ihnen der schneefarbene Tod alles Leben ausgetrieben (falls man bei einem Gespenst von ausgetriebenem Leben sprechen kann).
Jedes Mal, wenn Lisandra den beiden Jungen begegnete und sie es kaum schafften, einen Satz mit ihr zu reden, nagte die Furcht an ihr, dass ihr ein ähnliches Schicksal bevorstehen könnte. Es interessierte sich aber niemand für sie. Nur einmal trat Grohann in einer Schulpause an die Gruppe von Mädchen heran, doch es war nicht Lisandra, die er sprechen wollte, sondern Thuna. Wie sie später erfuhren, bot er ihr an, sie in den bösen Wald mitzunehmen, damit sie Pollux besuchen könnte, und sie nahm das Angebot freudig an. Am nächsten Wochenende sollte es so weit sein und alle Freundinnen schüttelten nur erstaunt die Köpfe, dass Thuna sich auf diesen Ausflug freute , stand Grohann doch in dem Ruf, ein skrupelloser Zauberer zu sein, der zur Erreichung seiner Ziele über Leichen ging.
„Das ist ein Vorwand, um dich auszuhorchen!“, sagte Scarlett.
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