Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
mich?“
Aus den fünf Minuten, die Gerald bleiben wollte, wurden zehn. Was vor allem daran lag, dass sie besprechen mussten, wann er wiederkommen würde und wie sie dann vorzugehen gedachten.
„Sollten wir nicht doch lieber Viego einweihen?“, fragte Maria.
„Nein, er würde es sofort meinem Vater stecken!“
„Wäre das so schlimm?“
„Sie könnten beide ausflippen deswegen“, sagte Gerald. „Und wenn sie das tun, will ich ein paar gute Argumente haben. Wenn ich sagen könnte: Es klappt, es war alles gar kein Problem, wäre das ein großer Vorteil!“
Scarlett war anzusehen, dass sie das Gleiche dachte.
„Also gut“, sagte Maria.
Schli eßlich war alles besprochen. Gerald kehrte durch die Tür nach Augsburg zurück, zog seine Tasche aus dem Spalt und ließ die Tür mit einem dumpfen Knall zufallen. Maria sah, wie Scarlett einen Abschiedskuss auf die Glasscheibe hauchte, der vermutlich von der anderen Seite erwidert wurde, und dann war das Abenteuer vorbei. Fast vorbei. Sie mussten nur noch durch den Spiegel in den Trophäensaal zurückkehren, aber das war keine Schwierigkeit, es sei denn, es stand dort jemand in den Ecken herum.
„Das ist das Blöde am Trophäensaal“, sagte Maria, als sie den Spiegel erreicht hatten, durch den sie vor einer Viertelstunde gekommen waren. „Einen kleinen Ausschnitt kann ich immer sehen, bevor ich zurückgehe. Aber nicht alles. Der Trophäensaal ist zu groß, um sicher zu sein, dass dort niemand ist.“
Maria legte ihr Gesicht an den Spiegel und blinzelte durchs Glas.
„Sieht leer aus!“, meldete sie. „Versuchen wir’s.“
Der Versuch war leider zum Scheitern verurteilt. Denn als Maria mit Scarlett an der Hand durch den Spiegel geklettert kam, wurden sie bereits erwartet. Die Maküle mit den Augen in der Farbe eines Sonnenuntergangs stand unmittelbar neben dem Spiegel und blickte sie aufmerksam und freundlich an. Weit weniger freundlich, sondern streng und furchteinflößend war der Blick von Grohann, dem Steinbockmann, der auf der anderen Seite des Spiegels stand.
„Maria und Scarlett“, sagte er. „Wir haben etwas zu bereden.“
Kapitel 6: Ein tiefes Brummen
Scarlett war wütend. Sehr wütend. Die Lampe in Zimmer 773 flackerte wie bei einem G ewitter. Wenn Scarlett auf ihrem Weg hierher nicht fünf Ritterrüstungen mit böser Cruda-Kraft in alle Einzelteile zerlegt hätte, dann wären jetzt womöglich die Scheiben der kleinen Fenster geplatzt oder die Kopfkissen der Mädchen in Flammen aufgegangen. Aber so hatte sie sich ausreichend abreagiert und konnte ihren Freundinnen halbwegs zivilisiert Bericht erstatten.
Maria hatte Grohanns Verhör schön länger hinter sich, denn sie war als Erste an die Reihe gekommen, während Scarlett geschlagene drei Stunden mit der Maküle in einem Hinterzimmer der Bibliothek sitzen musste, bis sie an die Reihe kam. Das Schlimme daran war, dass sie nicht wusste, welche Lügengeschichte sie sich zurechtlegen sollte. Denn sie hatte keine Ahnung, was Maria dem Steinbockmann erzählen würde. Womöglich die Wahrheit, was sollte sie auch sonst sagen?
Es war längst dunkel geworden, als Grohann Scarlett abholte und sie zu dem vollgestopften Dachboden hinaufführte, der sich über der Bibliothek befand. Hier hatte er Scarlett schon einmal hergebracht und ihr Golding vorgeführt, das Schoßtier der bösen Cruda Hylda. Das Gespräch damals war glimpflich verlaufen. Diesmal hatte es einen anderen Charakter.
Scarlett musste sich in einen frei geräumten Lehnstuhl setzen, während der Steinbockmann an einem Tisch lehnte, auf dem eine kleine Öllampe stand. Es war das einzige Licht in dem ansonsten dunklen Dachboden voller Gerümpel, und dieses Licht reichte kaum aus, um das Gesicht des Steinbockmanns zu erhellen, der Scarlett eine Frage nach der anderen stellte.
Das Ergebnis der Befragung war ernüchternd. Obwohl sich Scarlett fest vorgenommen hatte, kein einziges Sterbenswörtchen über Gerald zu verraten, wusste der Schnüffler der Regierung doch am Ende viel zu gut Bescheid. Was auch daran liegen mochte, dass er nicht davor zurückschreckte, sie zu erpressen.
„Scarlett“, sagte er, „wir beide wissen, dass du als böse Cruda ein Geschöpf bist, dessen Existenz den Regierenden von Amuylett Bauchschmerzen bereitet. Diese Leute sind nicht wehleidig, sie kommen mit Bauchschmerzen zurecht. Doch sollte sich herausstellen, dass ein Geschöpf, das ihnen Schmerzen bereitet, gegen sie arbeitet, ihnen wichtige Fakten
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