Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
wundert es mich, dass es überhaupt noch geklappt hat.“
„Vielleicht war das mit dem Sonnenuntergang ein Bluff? Damit wir so richtig verzweifelt sind, wenn es dunkel wird?“
„Ich glaube, Yu Kon ist sich zu schade für Bluffs. Aber die Verzweiflung hat mit Sicherheit geholfen!“
Es sprach nichts dagegen, den heutigen Morgen auf ähnliche Weise zu verbringen wie den gestrigen. Sie schlugen den Weg zum Gaulwasser ein und überquerten die Brücke, so wie am Tag zuvor. Doch vieles war anders geworden seitdem. Sie waren jetzt mehr als Freunde. Zwar sprachen sie es nicht so deutlich aus, doch sie verhielten sich so, als sei der Heimzahlkuss nicht einfach nur ein Heimzahlkuss gewesen, sondern viel mehr.
„Sag mal, Haul“, begann Lisandra, als sie den Trampelpfad über die weißen Hügel betraten und Lisandra wieder vor ihm laufen musste, weil sie nebeneinander keinen Platz hatten. Sie hielt es für günstig, wenn Haul ihr Gesicht nicht sah, wenn sie ihm diese Frage stellte. „Habt ihr euch nie gefragt, warum ich von Yu Kon Unterricht bekomme?“
„Schon. Es passiert ja wohl auf Grohanns Wunsch.“
„Ja, aber warum?“
„Hat er dir das nicht gesagt?“
„Er hat mir überhaupt nichts gesagt.“
„Hast du mir nicht mal erzählt, er hätte es dir angekündigt?“
„Er hat es angekündigt, aber nicht mir. Er hat es Viego und Estephaga erzählt und Scarlett und Berry haben es mitbekommen.“
„Und was denkst du?“, fragte er. „Was ist deine Erklärung dafür?“
„Erst will ich wissen, was ihr beide denkt! Dann sage ich dir, was ich denke.“
„Na ja, es liegt auf der Hand, dass du unglaublich begabt bist! Grohann wird erkannt haben, was du für ein Potenzial besitzt!“
Lisandra drehte sich empört um.
„Hey, das ist nicht nett!“
„Wieso?“, fragte er.
Lisandra runzelte die Stirn. Haul machte ein Gesicht, als ob er sie gerade gar nicht veralbert hätte. Wenn er sich so verstellen konnte, war er ein guter Betrüger!
„Wir beide wissen, dass ich überhaupt nicht begabt bin! Jeder einzelne Tag von Yu Kons Unterricht hat mir klar gemacht, was für eine lausige Kämpferin ich bin!“
Haul war stehen geblieben und schüttelte jetzt fassungslos den Kopf.
„Diese Erfahrung haben wir alle gemacht, Lockenköpfchen! Glaubst du, ich bin wirklich so eine Niete, dass ich jeden Tag danebenschlage, tausend Mal Schnee fresse und mich von alten Männern pausenlos verprügeln lasse? Hätte ich es auf diese Weise zu Hanns’ Leibwächter geschafft? Glaub mir, wenn ich eins in hundert Jahren gelernt habe, dann ist es kämpfen! Aber Yu Kon ist jedem Menschen auf dieser Welt so überlegen, dass er uns täglich das Gefühl geben kann, absolute Versager zu sein. Das ist seine Technik. Hast du das noch nicht begriffen?“
Nein, das hatte Lisandra noch nicht begriffen. Sie starrte Haul erstaunt an.
„Glaubst du, Hanns könnte nicht jeden Schüler und Lehrer hier an der Schule besiegen?“, fragte Haul. „Er könnte das! Aber gegen Yu Kon ist er machtlos. Du bist echt lustig, Lockenköpfchen! Dass wir überhaupt so lange überlebt haben und jeden Tag wieder aufstehen und das alles mitmachen, zeigt, dass wir hart im Nehmen sind ! Und ehrlich – als ich dich das erste Mal gesehen habe, hätte ich dir das nicht zugetraut.“
Das war jetzt eine Offenbarung. Lisandra konnte es gar nicht glauben.
„Du meinst, ich kann kämpfen?“, fragte sie. „Ich bin gut?“
„Wie kannst du daran zweifeln? Sie sagen, du hättest im letzten Herbst einen Engelsdämon besiegt. Wer kann denn so was?“
„Ach, das war nicht so rühmlich, wie es klingt. Viego hatte eine Waffe gemacht, die den Dämon töten konnte, i ch musste ihm nur die Kehle damit durchschneiden .“
„Nur? Jeder andere wäre dabei draufgegangen!“
Aber sie war dabei draufgegangen. Oder wäre draufgegangen, wenn sie nicht das fünfte Erdenkind gewesen wäre, das nicht sterben kann und jedes Mal ein Talent erwirbt, wenn es sich selbst überlebt. Haul schien das nicht zu wissen. Sehr gut!
„Er war noch nicht ausgewachsen und sowieso schon geschwächt“, sagte Lisandra .
„Selbst wenn du keinen Engelsdämon besiegt hättest, wüsste ich, dass du kämpfen kannst. Gut, du bist ein bisschen begriffsstutzig, wie wir gerade feststellen, aber sonst durchaus beeindruckend!“
Er lachte sie aus und ihr wurde ganz leicht ums Herz. Sie war eine gute Kämpferin! Sie konnte etwas!
„Wenn es so ist, wie du sagst, dann verstehe ich wenigstens, warum Grohann
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