Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
unheimlichste Weise ähnlich war.
Kapitel 1 6 : Die Lektion von der silbernen Kröte
An dem Tag, an dem Geraldine gestorben war, hatte auch Viego Vandalez aufgehört zu leben. Zwar hatte sein Körper weiterhin existiert (was auch dem Einsatz von Ritter Gangwolf zu verdanken war), doch all das, was den Halbvampir einmal mit Liebe, Glück und Hoffnung erfüllt hatte, war mit Geraldine aus seiner Welt verschwunden. Er wusste wohl, was Verbundenheit bedeutet und seine Fürsorge für das Patenkind Gerald konnte man sicherlich auch als Liebe bezeichnen, doch dies war nicht die Glut, die einen Menschen um der reinen Lebensfreude willen leben lässt. Der Hunger nach dem puren Dasein, der Viego früher einmal erfüllt und angetrieben hatte, war an jenem Tag erloschen.
Alles, was Viego von nun an tat, war Pflicht. Und kein Wunsch mehr außer dem der Rache konnte ihn noch entflammen. Es war traurig, da Viego Vandalez so ein begabter und hoffnungsvoller Abgesandter der Dunkelheit gewesen war, ein von Geburt an dem Zwielicht angehörender, abgründiger Geist, der es jedoch geschafft hatte, sich von allen Vorurteilen und Begrenzungen zu befreien und als anerkannter Wissenschaftler in Tolois zu leben. Er war eines der wenigen Geschöpfe Amuyletts gewesen, das Hell und Dunkel zu verbinden wusste, das Vertrauen schuf, wo Misstrauen herrschte. Der Viego, der mit Geraldine verlobt gewesen war, war ein anderer Mann gewesen als der, der in Sumpfloch unterrichtete. Heute hielt niemand mehr Viego Vandalez für einen Vermittler zwischen Nacht und Tag. Er gehörte wieder der Nacht an und sein fabelhafter Ruf, den er einmal genossen hatte, war zerstört und in Vergessenheit geraten.
Zunächst war es die Gier nach Rache gewesen, die Viego Vandalez am Leben gehalten hatte. Doch allmählich war der Beschützerinstinkt an ihre Stelle getreten. Seit Viego Geralds Patenonkel geworden war (zu diesem Zweck hatte Gangwolf das Baby extra aus seiner Heimatwelt nach Amuylett geschleppt und es dem Halbvampir unter die Nase gehalten) und vor allem, seit Gerald in Sumpfloch eingezogen war, hatte Viego sich der Aufgabe gewidmet, Gerald vor Gefahren zu bewahren. Mittlerweile fühlte sich Viego nicht nur für Gerald verantwortlich, sondern auch für die anderen Erdenkinder, für Lisandra, Thuna und Maria. Auch Scarlett, die eine böse Cruda war, und Berry, die Tochter von inhaftierten Gangstern, gehörten zu seinen Schützlingen. Er tat, was er für sie tun konnte, doch in diesem Winter musste Viego feststellen, dass das nicht genug war. Er hatte nicht die Macht, diese Kinder vor den Machenschaften von Regierungen und geheimen Zauberer-Bündnissen zu beschützen. Er konnte nur scharf beobachten, forschen und aufpassen. Leider reichte das nicht. Es reichte bei Weitem nicht.
Längst hatten andere die Kontrolle über Sumpfloch übernommen, allen voran Grohann, von der Regierung mit weitreichenden Befugnissen und Mitteln ausgestattet. Seine Maküle überwachten die gesamte Festung und kaum etwas entging ihrer übermenschlichen Aufmerksamkeit. Viego Vandalez war erschöpft und mutlos. Er würde weiterkämpfen, das würde er immer tun. Doch nur, weil er es sich abverlangte, und nicht, weil ihn seine Wünsche in diese Richtung drängten oder er Hoffnung hatte.
Dann, an einem Tag, der Viego so düster vorkam wie nur wenige in den letzten Jahren, da er in Angst um Gerald fast verging, passierte das Unglaubliche. Gerald kehrte nicht nur unbeschadet zu Viego zurück, sondern erzählte ihm auch noch, dass Geraldine nicht tot war. Dass sie lebte, wenn auch körperlos und in trauriger Einsamkeit, doch sie war immer noch da. Viego wusste nicht, ob es der Himmel oder die Hölle war, die ihn nun rief, doch eines stand fest: Ein Ruf war erfolgt, ein Hilferuf von Geraldine, und das brachte den Halbvampir, der vor siebzehn Jahren zu leben aufgehört hatte, zurück in die Welt. Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass die Glut, die einst sein Vampirblut zum Kochen gebracht hatte, wieder entfacht werden könnte. Es war aber so. Auf einmal lebte er wieder aus eigenem Antrieb, auf einmal hatte er wieder einen Wunsch, der seinem tiefsten Herzen entsprang.
Man sah den Halbvampir in den nächsten drei Tagen nicht, doch wann immer sich die Mädchen sorgenvoll bei Gerald nach dem Lehrer erkundigten, versicherte er ihnen, dass es Viego gut ging. So gut, dass Gerald sich fragte,
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