Mondscheingeflüster
strähnige Haare quollen unter Mützen hervor, die Jeans sahen aus, als seien sie seit Jahren nicht mehr gewaschen worden, Stiefel wurden mit Stricken zusammengehalten, weil sie vor Altersschwäche schon auseinanderzufallen drohten. In den Händen - die sie mit Handschuhen wärmten, bei denen die Finger abgeschnitten waren - hielten sie Zigaretten. Ein Mann - sehr groß und muskulös, weniger bleich und kränklich aussehend als die anderen - nahm einen großen Schluck aus einer Flasche. Er stank nach Schweiß und Alkohol.
»Hallo, Darling«, sagte er und grinste breit.
Kathrin lächelte zurück, es war ein gequältes und ängstliches Lächeln. Diese Leute flößten ihr alles andere als Vertrauen ein. Wer waren sie? Warum hatten sie alle miteinander zu viel getrunken, auch die beiden Frauen? Die eine hatte ganz hohle Augen und eingefallene Wangen.
»Ich ... wissen Sie, wie ich zum Hotel Plaza komme?«, fragte Kathrin.
Der einzige Schwarze in der Gruppe lachte. »Plaza?«
»Ja. Plaza. Ich wohne dort. Ich heiße Kathrin, und ich komme aus Deutschland.«
Offensichtlich verstand sie niemand. Verzweifelt suchte Kathrin nach englischen Worten, aber ihr Gehirn war wie leer gefegt.
»Germany«, sagte sie und wies auf sich. »Germany.«
Die anderen lachten schon wieder. Was, um Gottes willen, fanden sie denn so komisch? Ein junges Mädchen aus Deutschland, das mitten in tiefster Winternacht allein und völlig unzureichend bekleidet durch den Central Park irrt, konnte doch nicht so erheiternd wirken?
»Können Sie mir helfen? Ich habe mich verlaufen. Bitte ... Plaza! Ich muss ins Hotel Plaza!«
Einer der Männer reichte ihr eine Zigarette. Kathrin schüttelte den Kopf.
»Danke. Ich rauche nicht. Ich ... vertrage es nicht.«
Grölendes Gelächter. Es war kaum anzunehmen, dass sie begriffen hatten, was Kathrin sagte, aber ihr ablehnendes Gesicht trug den Ausdruck eines kleinen Kindes, das zum ersten Mal mit der großen, bösen Welt in Berührung kommt. Jetzt fühlte sie etwas Kaltes, Hartes an ihren Lippen. Die Flasche! Man versuchte, ihr diese grässliche Flasche, aus der vermutlich schon die ganze Gruppe getrunken hatte, in den Mund zu pressen.
Kathrin sträubte sich, allerdings nicht zu heftig, um die anderen nicht noch mehr zu verärgern. »Bitte, nein. No! Ich möchte nichts trinken, no!«
Schließlich nahm sie doch einen Schluck. Was auch immer das für ein Zeug war, es brannte jedenfalls mörderisch in der Kehle. Natürlich musste sie heftig husten, und natürlich rief das wahre Heiterkeitsstürme hervor. Sie drängten ihr gleich noch einen zweiten Schluck auf, und als sie sich abermals verschluckte und ganz rot wurde im Gesicht vor lauter Keuchen, brüllten sie noch lauter.
»You're great, honey«, sagte der Schwarze. »Really, you're great!«
Kathrin begriff, dass es ein Fehler gewesen war, diese stinkenden, verkommenen Jugendlichen auf sich aufmerksam zu machen. Keiner von ihnen schien die Absicht zu haben, ihr zu helfen, möglicherweise waren sie auch viel zu betrunken, um überhaupt zu kapieren, was Kathrin von ihnen wollte. Was aber noch schlimmer war: Sie wollten sich ihren Spaß mit ihr machen, und wer wusste, wann die vorläufige Harmlosigkeit in Gewalt und Aggression umschlagen würde? Sie hatten sich ja kaum unter Kontrolle. Schon kreiste die Flasche wieder, und als sie leer war, zog eines der Mädchen aus seiner verfilzten Strick-Umhängetasche eine weitere hervor.
Noch einmal nahm sie einen Anlauf. »Ich habe mich verlaufen. I ... I have lost my way. I am living in the Plaza Hotel. Please, help me!«
»Little girl from Germany!«
Es klang wie ein Sing-Sang, was einer der Männer da von sich gab.
»Little girl from Germany!«
Kathrin wich einen Schritt zurück. »Ich muss jetzt weiter. Ich muss irgendwie mein Hotel finden. Auf Wiedersehen.«
Jemand hielt ihren Arm fest. Es war der Mann, der ihr vorher auch den Schnaps eingeflößt hatte. Seine Finger umklammerten Kathrins Handgelenk so fest, dass die Haut brannte.
»Bitte«, sagte Kathrin, »lassen Sie mich los. Ich muss weiter. Mir ist so kalt. Ich werde krank, wenn ich noch länger hier bleibe.«
Sie fühlte, dass sie schon blaue Lippen haben musste vor Kälte, außerdem waren ihre Füße Eisklumpen, und wahrscheinlich waren ihre Zehen längst erfroren, genauso wie bei den armen Soldaten in Russland, von denen sie gelesen hatte. Jetzt zog ein anderer Mann ihren Mantel auseinander. Kathrin keuchte vor Schreck. Was kam jetzt, was hatte
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