Mondscheingeflüster
mich auf mein Pferd, und wir reiten durch den Park bis zum Hotel«, sagte sein Kollege zu Kathrin.
Sie sah ihn vertrauensvoll an. »Wie heißen Sie?«
»Ich bin Mike. Und das ist Peggy. Das beste Pferd der Welt!« Liebevoll strich er der Stute durch die Mähne. Dann reichte er Kathrin die Hand. »Come on! Schwing dich hinauf!«
Kathrin hatte damit einige Mühe, ihre Knochen waren ganz steif von der Kälte, und ihr enger, kurzer Rock war für solche Abenteuer ebenfalls denkbar ungeeignet. Doch endlich hatte sie es geschafft.
Mike zog seinen dicken Anorak aus und legte ihn um Kathrins Schultern. »Hier. Du bist ja schon fast erfroren!«
Kathrin protestierte, allerdings mehr aus Höflichkeit. »Das kann ich nicht annehmen! Dann erfrieren Sie ja!«
»Nein, bestimmt nicht. Look, wie fett ich bin!« Er hatte in der Tat einen mächtigen Bauch. »Das hält warm!«
Peggy setzte sich in Bewegung, sie hatte einen angenehm ruhigen, schaukelnden Gang. Trotzdem hielt sich Kathrin krampfhaft an der Mähne fest. Alle ihre Glieder waren so gefühllos geworden vor Kälte, dass sie meinte, jeden Moment das Gleichgewicht zu verlieren. Wenn Mikes kräftiger Arm um ihre Taille nicht gewesen wäre, sie hätte längst unten im Schnee gelegen.
Peggy fand ihren Weg mit traumwandlerischer Sicherheit. Mike erzählte, dass er schon seit zehn Jahren Streife mit ihr durch den Central Park reite.
»Peggy kennt jeden Fußbreit Boden hier, jeden Winkel. Ich könnte schlafen hier oben, sie würde sich nie verlaufen.«
»Wie alt ist Peggy?«
»Sie wird vierzehn im nächsten Herbst, Zeit für ihr Gnadenbrot. Sie hätte es längst verdient, aber ich denke, sie wäre traurig, wenn sie irgendwo allein auf einer Weide herumstehen müsste und nicht mehr bei Nacht und Nebel durch ihren Park laufen könnte.« Mike lachte. »Die Wahrheit ist natürlich, ich wäre traurig ohne meine Peggy! Ich weiß gar nicht, wie ich mich an ein anderes Pferd gewöhnen soll. Aber Peggy muss ein schönes Alter haben. Für viele Polizeipferde sieht das Ende nicht schön aus, weißt du. Zum Schlachten verkauft, schaukeln sie in engen Güterwaggons durch das Land ... Peggy kommt in einen schönen Stall mit schönen grünen Wiesen ringsherum. Sie soll irgendwann friedlich einschlafen.« Dann änderte sich Mikes Tonfall. Auf einmal klang seine Stimme streng. »Hör mal, ich wette, deine Eltern wären gar nicht erfreut, wenn sie wüssten, wo du dich nachts herumtreibst! Wo sind sie? Im Hotel? Oder drüben in Germany?«
»Nein. Irgendwo in Oregon.«
Kathrin erzählte, dass ihr Vater beruflich dorthin gemusst habe, und dass sie hatte hierbleiben wollen.
Mike grinste. »Ein boyfriend, wie?«
»Ja. Ich war mit ihm in einer Diskothek heute Abend. Nachher haben wir uns gestritten, da bin ich aus dem Auto gesprungen und in den Park gelaufen. Ich habe nicht nachgedacht in dem Moment. Ich wollte nur weg!«
»Sehr leichtsinnig. Es gibt Orte im Park, da sollte man nicht einmal am Tag allein hingehen. Aber nachts ... das ist vollkommen wahnsinnig! Du hast großes Glück gehabt, Miss. Hier lungern Leute herum, die verdammt schnell mit dem Messer zur Hand sind. Du könntest längst tot in einem Gebüsch liegen!«
Kathrin schluckte. »Ich weiß«, sagte sie leise.
»Wenn du im Hotel bist, rufst du als Erstes den armen Jungen an, vor dem du weggelaufen bist. Egal, worüber ihr euch gestritten habt, inzwischen ist er bestimmt schon ganz außer sich vor Sorge. Am Ende hat er sogar bereits deine Eltern verständigt. Falls du bei der Polizei als vermisst gemeldet bist, bringe ich das in Ordnung.«
Kathrin nickte nur. Die Anspannung hatte sie die ganze Zeit über wach gehalten, aber nun merkte sie, wie erschöpft sie war. Der lange Abend mit Ted, der Streit, das Herumirren im Park, die Begegnung mit den Jugendlichen ... sie fühlte sich todmüde und wäre beinahe auf dem Pferderücken schon eingeschlafen. Nur mit großer Mühe hielt sie die Augen offen. Dank Mikes Anorak war ihr jetzt etwas wärmer, aber an den Füßen fror sie noch immer entsetzlich. Nie im Leben hatte sie sich so sehr nach ihrem Bett gesehnt wie jetzt.
Sie erreichten das Ende des Parks an der Ecke Fifth Avenue/Central Park South. Direkt gegenüber lag das »Plaza«. Kathrin wäre vor Erleichterung beinahe wieder in Tränen ausgebrochen.
»Wir sind da! Gott sei Dank!«
Mike sprang vom Pferd und half dann Kathrin herunter. Er reichte ihr ihre Handtasche.
»Hier. Lieber Himmel, ist die schwer! Was schleppst du denn
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